Rückblende | Syrien

Oh, Scheherazade!

Wie ich im syrischen Radio die Magie des Geschichtenerzählens kennenlernte

Ein farbiges Porträt des Schriftstellers Rafi Schami. Er trägt eine Brille, Baskenmütze und lächelt in die Kamera.

Der Schriftsteller Rafik Schami, geboren 1946 in Damaskus

Kaum jemand in Syrien kennt nicht die „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“. Ich selbst war zehn Jahre alt, als ich sie zum ersten Mal hörte. Damals, im Juni 1956, kündigte der syrische Rundfunk an, die Geschichten 1.001 Nächte lang auszustrahlen, jeden Abend um elf Uhr.

Mein Vater, der immer schon um vier Uhr morgens aufstehen musste, konnte seine Enttäuschung nicht unterdrücken. „Typisch“, stöhnte er, „die guten Sendungen kommen immer dann, wenn die Bäcker schon längst schlafen.“ Mir versprach meine Mutter jedoch, sie würde mich um Punkt elf Uhr aufwecken. Ich schlief sofort ein – bis ich ihre Hand spürte. Wir schlichen uns leise ins Elternzimmer, wo das Prachtradio stand, setzten uns auf den Teppich und lauschten.

Ich erlebte den Zauber der Erzählerin Scheherazade, die die Geschichte immer dort unterbrach, wo sie am spannendsten wurde – nur, um den König und uns anschließend auf die nächste Nacht zu vertrösten. Über zwei Jahre und acht Monate hinweg hörten wir Nacht für Nacht die Geschichten. Oft konnte ich nicht sofort einschlafen, sondern überlegte, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das war meine erste genüssliche Schulung des Geschichtenerzählens.

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