Nawazish Ali war Pakistans bekannteste Witwe. In ihrer „Late Night Show“ hat sie bis vor Kurzem, stark geschminkt und in bunte Saris gekleidet, prominente Persönlichkeiten zum nächtlichen Plausch empfangen. Dabei scheute sie sich keineswegs davor, mit ihren männlichen Gästen zu flirten und mit den Frauen kleine Schönheitswettbewerbe auszufechten. Politiker, Intellektuelle und Künstler kamen in die Sendung und störten sich nicht daran, dass die Offizierswitwe eigentlich ein Mann ist. Denn hinter dem fiktiven Charakter der glamourösen Witwe verbirgt sich der bisexuelle Transvestit Ali Saleem, der in Frauenkleidern die Sendung moderierte.
Die Talkshow von Saleem wurde ein Hit. Der 28-Jährige quälte seine Gäste mit unbequemen Fragen zur politischen Lage und er kritisierte offen Armee und Fundamentalisten. Hin und wieder versuchte er sogar, eine Diskussion über Sexualität vom Zaun zu brechen. Nachdem die Show zwei Jahre lang zur besten Sendezeit auf dem privaten Sender Aaj TV lief, wurde sie diesen Sommer abgesetzt. Und zwar nicht auf Druck der islamischen Fundamentalisten, sondern der Armee: Diese war nicht glücklich darüber, dass Frau Nawazish ausgerechnet eine Offizierswitwe ist. Ironischerweise ist Saleem im wirklichen Leben der Sohn eines Armeeoffiziers, der die Karriere seines Sohnes voll und ganz unterstützt.
Am Beispiel der „Late Night Show“ lässt sich sehr gut der aktuelle Stand der Dinge in Pakistan ablesen. Das rapide Wachstum der Medienlandschaft in den letzten zehn Jahren hat das gesellschaftliche Leben in Pakistan neu aufgemischt und auch einen Liberalisierungs- und Demokratisierungsprozess in die Wege geleitet. Fernsehen und Radio sind die Informationsquellen schlechthin. Das ist nicht verwunderlich, denn in Pakistan kann nach offiziellen Angaben jeder zweite nicht lesen und schreiben. Und der Anteil der Zeitungsleser beträgt nur zehn Prozent. Der Fernsehboom der letzten Jahre war folglich von großer Bedeutung für die gesellschaftlichen Entwicklungen im Land.
Bis vor etwa fünf Jahren gab es nur einen staatlichen Fernsehsender, der in seiner Berichterstattung wenig kontrovers und stark regierungsfreundlich ausgerichtet war. Heute kann der Zuschauer zwischen zehn privaten Nachrichtensendern wählen. Hinzu kommen zahlreiche Unterhaltungs- und Musiksender, die meist in Urdu, der offiziellen Landessprache, berichten. In jüngster Zeit senden aber immer mehr Rundfunkanstalten auch in ihrem regionalen Dialekt. Hierdurch hat der staatliche Sender zwar viel Konkurrenz bekommen, in den ländlichen Gebieten aber erfreut er sich immer noch reger Beliebtheit. Die privaten Sender werden eher von den Städtern favorisiert, die zudem über Satellit ihre Programmauswahl vergrößern. Geo TV hat sich als einer der erfolgreichsten Sender im Land etabliert und verfügt mittlerweile auch über einen eigenen Sport-, einen Unterhaltungs- und einen Nachrichtenkanal. Vor einigen Monaten ging das erste englischsprachige Nachrichtenstudio auf Sendung, das sich vor allem an die Mittel- und die Oberschicht richtet. Weitere englischsprachige Sender sind geplant.
Die Einführung des privaten Fernsehens hat vor allem den medialen Umgang mit brisanten Themen und Konflikten verändert. Die neue Art der Berichterstattung führte jedoch zu Auseinandersetzungen mit der Regierung, da diese den Inhalt der Beiträge nicht mehr kontrollieren konnte. Als es zum Beispiel 1981 während eines Demokratisierungsversuches zu zahlreichen Demonstrationen gegen den damaligen Diktator Zia ul-Haq kam, waren nur die wenigen Menschen über das Geschehen inormiert, die Zugang zur BBC hatten. Der Regierung gelang es, gegen die Demonstranten vorzugehen und die Bewegung ohne größere Widerstände zum Kollabieren zu bringen.
Diesen Sommer, als der Oberste Gerichtshof den Richter Chaudry wieder einsetzte, obwohl dieser im März 2007 von Präsident Musharraf wegen angeblicher Korruption seines Amtes enthoben worden war, hatte die Regierung kein leichtes Spiel. Die privaten Sender waren schon bei den ersten Protesten zugegen und berichteten live. Es kam zu Massenkundgebungen im ganzen Land. Die Entscheidung musste widerrufen werden. Solche Erfolge sind aber nicht selbstverständlich. Es kommt immer noch vor, dass die Armee Redaktionsräume stürmt, wenn sie mit der Berichterstattung nicht einverstanden ist, so auch bei den Protesten gegen die Suspendierung des Richters Chaudry. Während einer Live-Übertragung drang die Polizei in die Redaktionsräume ein und zerstörte das Arbeitsmaterial. Dieser Angriff wurde von einer Kamera aufgenommen und der Öffentlichkeit gezeigt. Die Entrüstung darüber war so groß, dass Präsident Musharraf sich im Fernsehen entschuldigen und die Bestrafung der Täter veranlassen musste.
Die Reaktion von Musharraf zeugt von einem Wandel im Verhältnis zwischen Medien und Regierung. Als Musharraf vor acht Jahren an die Macht kam, erklärte er, dass er Pressefreiheit und Liberalisierung der Medien vorantreiben wolle. Die Situation verschlechterte sich jedoch. Manche Sender sagen, dass sie ständig von der Regierung überwacht werden. Musharraf rechtfertigt diese Kontrollen mit dem mangelnden Verantwortungsbewusstsein der Sender. Eine Sendung etwa zeige tote Menschen nach einem Bombenangriff. Dies sei eine Zumutung für die Zuschauer.
Zu ähnlichen Konflikten kam es auch während der Belagerung der Roten Moschee im Juli. Einige Reporter beklagten sich, dass die Behörden sie bei der Arbeit behinderten. Diese wiederum meinten, der Schutz der Geiseln sei wichtiger als die Aufklärung der Öffentlichkeit. Dieses Misstrauen zwischen Regierung und Medien wird gewiss noch einige Zeit für viel Ärger auf beiden Seiten sorgen und auch den bevorstehenden Wahlkampf prägen.
Doch nicht nur im Nachrichtenjournalismus lassen sich Fortschritte erkennen. Auch die Unterhaltungsbranche boomt. Die Auswirkungen der Medienrevolution macht sich vor allem bei den Jugendlichen bemerkbar, die heute Zugang zu Sendern aus der ganzen Welt haben. So ist in den ländlichen und konservativeren Gegenden des Landes vor allem die Begeisterung für Indien gewachsen, nicht zuletzt wegen der großen Filmindustrie. Auf einmal wird man sich in Pakistan des gemeinsamen kulturellen Erbes bewusst. Die Mädchen kleiden sich wie ihre Idole aus den Seifenopern, und auf den Handys der Jungs klingelt der neuste Bollywood-Hit.
Filme und Musik aus dem Westen hingegen beeinflussen die urbane Mittel- und Oberschicht. Mädchen und Jungen, die tagsüber Jeans und T-Shirt tragen, führen abends auf Partys und in Restaurants die aktuellsten Modetrends vor. Hierzu lassen sie sich von Fashion TV Pakistan inspirieren, einem Sender, der Mode aus der ganzen Welt vorstellt. Und dank MTV Pakistan, hat sich eine Musikszene über das gesamte Land verbreitet, wie es sie vorher noch niemals gegeben hat. Zum einen fließen die westlichen Rhythmen in die traditionellen Melodien des Landes ein und bringen neue Musikstile hervor. Zum anderen formen sich überall ganz neue Bands nach westlichem Vorbild. Dabei versuchen die jungen pakistanischen Musiker nicht nur zu rocken und zu rappen wie die Kollegen aus Amerika und England, sie übernehmen gleich das ganze Repertoire: Outfit, Stil und eine bestimmte Haltung dem Leben und der Gesellschaft gegenüber.
So wird durch die Medien in den ländlichen Regionen das Bewusstsein für die Traditionen des Landes geweckt und in den Städten die Modernisierung der Gesellschaft vorangetrieben. Das führt allerdings dazu, dass die Kluft zwischen Land und Stadt, zwischen Arm und Reich, noch größer wird und das Land sich mit neuen Spannungen konfrontiert sieht. Während sich die Städter als modern betrachten und die Menschen auf dem Land als rückständig, werfen diese ihnen westliche Überheblichkeit und kulturelle Entfremdung vor. Auch der Generationenkonflikt wird durch diese raschen Entwicklungen verschärft. Denn selbst die „modernen“ unter den Eltern beziehen sich sehr stark auf traditionelle kulturelle Werte. So wollen sie zwar einerseits, dass ihre Kinder die bestmöglichste Ausbildung erhalten und studieren, andererseits aber werden eine gute Heirat und die Gründung einer Familie als das Lebensziel schlechthin betrachtet. Die Kinder jedoch wollen meist ins Ausland ziehen, einen gut bezahlten Job haben und möglichst viele Erfahrungen sammeln. Genauso, wie es die Helden ihrer Serien vorleben.
Um die Jugend vor den Einflüssen des Westens zu schützen, wurde privaten Sendern anfangs harte Zensur auferlegt. Bis vor einigen Jahren war es ganz normal, dass mitten im Programm auf einmal Bild verzerrende Kästen auftauchten, die vor dem Anblick von zu viel nackter Haut schützen sollten, etwa in Serien wie „Baywatch“. Einige kluge Köpfe fanden allerdings heraus, dass man sehr gut durch die Kästen blicken kann, wenn man sich ein Stück Stoff vor die Augen hielt. Männer in Cafés scharten sich also mit Stoff vor dem Gesicht um einen Fernseher, um den Anblick einer Pamela Anderson am Strand einzufangen.
Mittlerweile hat es die Regierung aufgegeben, unmoralische Szenen zu zensieren. Dies wäre auch lächerlich, kann man doch heute über hundert internationale Programme empfangen. So beschwert sich auch kaum jemand mehr, wenn Nachrichtensprecherinnen ihre traditionelle Kopfbedeckung gegen einen Anzug eintauschen. Allerdings darf man trotz allem Wandel nicht vergessen, dass auch die fundamentalistische Front im Land sich der Medien bedient, um ihre Ideologien zu verbreiten. Nicht selten treten sie hierfür in Sendungen auf, deren Macher sie öffentlich als verwestlicht verurteilen. Das mag zwar paradox klingen, aber das Nebeneinander von entgegengesetzten Ideologien in Pakistan ist eine heikle Angelegenheit, die viel Geduld und Einfühlungsvermögen erfordert.
Dieser Herausforderung kann nur mit einer guten Ausbildung der Journalisten begegnet werden. Media Studies kann man mittlerweile überall im Land studieren. Doch wir als Ausbilder müssen uns bewusst werden, dass es bei der Ausbildung der jungen Journalisten auch um die Vermittlung einer liberalen Ethik geht. Es ist wichtig, den künftigen Journalisten beizubringen, dass sie alle Meinungen respektieren müssen, sich bei der Berichterstattung nicht von ihren Emotionen treiben lassen, und einen distanzierten Umgang mit ihren Themen finden. Nur eine verantwortungsvolle Berichterstattung wird die Entwicklung zu einer völligen Unabhängigkeit der Medien vorantreiben.
Aus dem Englischen von Evi Chantzi