Ende der 1890er-Jahre verfasste die schwedische Autorin und Reformpädagogin Ellen Key einen Artikel mit dem Titel „Schönheit für alle“. Sie behauptete: „Erst wenn es nichts Hässliches mehr zu kaufen gibt, wenn das Schöne genau so billig ist wie das Hässliche derzeit, kann Schönheit für alle Wirklichkeit werden.“ In der damaligen Debatte ging es vor allem darum, wie Maschinen ohne Seele und Gewissen die Handwerker ausmanövrieren und wie ihre simplen und stillosen Produkte eine hässlichere Welt schaffen würden. Ähnliche Gedankengänge gab es überall in Europa, in Frankreich, in der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung und vielleicht besonders in Deutschland, wo die führenden Disputanten sowohl das Buch des schwedischen Künstlers Carl Larssons „Das Haus in der Sonne“ als auch Hermann Muthesius’ „Das Englische Haus“ und seine These bezüglich der Vorteile standardisierter Arbeit aufsogen. Man war sich sicher, die Industrie würde kommerzielle Siege feiern und alle Kritiker, die deutsche Produkte für schlecht und geschmacklos hielten, vom Gegenteil überzeugen.
War die Debatte über die kostengünstige Massenproduktion damals eine europäische Debatte der Avantgarde, verbinden heute viele das Konzept von demokratischem Design mit skandinavischem, insbesondere mit schwedischem Design. Die Wurzeln können bis zur vorherigen Jahrhundertwende zurückverfolgt werden, als sich die schwedische Handwerksvereinigung (Svensk Slöjdföreningen, heute: Schwedische Form, Svensk Form) für die Entwicklung der industriellen Fertigung zu engagieren begann, indem sie intensiver dem Vorbild des deutschen Werkbunds folgte, Künstler an die Industrie zu vermitteln. Das erste Resultat wurde 1917 mit der Heim-Ausstellung in der Kunsthalle Liljevalch in Stockholm gezeigt. Ein Publikumserfolg. Die Zielgruppe jedoch, die Arbeiterklasse, gehörte kaum zu den Besuchern. Zwei Jahre später fasste Professor Gregor Paulsson die Ideen bezüglich „guten Designs für alle“ in der Propagandaschrift „Schönere Alltagswaren“ (Vackrare vardagsvara) zusammen.
Ein Buch voller Ideen, das jetzt im 21. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Diskussion zur globalen Überproduktion und durch eine Übersetzung ins Englische im Auftrag des Museum of Modern Art in New York wieder an Aktualität gewonnen hat. Heute sind es die Einrichtungszeitschriften und die Kataloge der Möbelhausketten, die mit verführerischen Wohnträumen und Vorstellungen über gute Produktauswahl dieses Werk fortzusetzen versuchen. Es gibt jedoch keinen kritischen Dialog. Der Produktüberfluss verhindert, ja verschleiert gar die Möglichkeit einer Diskussion. Die Industrie hat gesiegt, heute finden sich vielfältige Ausprägungen von Massenproduktion. Parallel dazu wurden das Handwerk und der individuelle Ausdruck seit dem Zweiten Weltkrieg immer exklusiver.Während sich in der heutigen globalisierten Handy- und Internet-Welt des 21. Jahrhunderts das Warenangebot ausdehnt und vervielfältigt, tauchen gleichzeitig Themen wie begrenzte Ressourcen, die Klimafrage und die Angst vor dem Verschwinden der klassischen Handwerkskompetenz auf. Dieses Verschwinden wird nicht nur aus ästhetischen Gründen bedauert, sondern auch aus entwicklungspolitischen, dient doch das Handwerk etwa in Afrika und anderen Ländern mit sehr niedrigem Bruttosozialprodukt als Verdienstmöglichkeit. Juristisch gesehen, geht es auch um Urheberrechte und darum, wie die multinationalen Unternehmen agieren.
Besonders seit den 1960er-Jahren kritisierten Nachwuchsdesigner ästhetische Entwicklungen, die sie als reaktionär und viereckig empfanden. Und wer konnte sich das vornehme dänische, italienische oder amerikanische Design überhaupt leisten? Die kritische Pop Art und andere Alarmglocken schufen eine neue, befreite Diskussionsatmosphäre, in der die Aufgabe von Design neu formuliert wurde: Es sollte die physischen und psychischen Voraussetzungen der Menschen sowohl verstehen wie sich auch nach ihnen richten. Ergonomie auf der einen und engagierende Ästhetik auf der anderen Seite wurden zur neuen Herausforderung ebenso wie die Entwicklung intelligenter Materialien und Techniken – ein seit dem Zweiten Weltkrieg andauernder Prozess, der mit kurzen Unterbrechungen noch heute anhält. In diesem Klima betrachteten sich IKEAs Mitarbeiter als Zielgruppe. Das erfolgreiche schwedische Unternehmen, gegründet 1943, ist heute mit Möbelhäusern auf der ganzen Welt ein Beispiel dafür, wozu innovatives kreatives Lenken im Geiste Muthesius’ führen kann.
Gründer Ingvar Kamprad legte mit einer kleinen Schar von einfallsreichen und aufgeschlossenen Mitarbeitern über die Zeit den Grundstein für die heutige Entwicklung. Sie wollten ein Design kreieren, das sie selbst gerne haben wollten und sich viele andere und sie selbst leisten konnten. Ein neuer „demokratischer Gedanke“ entstand. Neu daran war, dass die IKEA-Künstler freie Hand hatten, sofern sie in dem von Kamprad gesetzten Rahmen blieben: ökonomisches, logistisches Denken (Möbel in flachen Paketen, welche die Kunden selbst zusammenbauen sollen) und ein Preis, der für ein großes Publikum erschwinglich sein sollte. Die rationelle Fertigung und möglichst ein Produktionsort, wo die Löhne das Preisniveau nicht negativ beeinflussten, waren zwei der Voraussetzungen. Darüber, dass IKEA nicht allzu diskret bekannte Designobjekte nachahmte und zum halben Preis oder weniger anbot, machten sich nur ehrgeizige Konkurrenten Sorgen. Die IKEA-Angestellten gaben zu ihrer Verteidigung an, dass ihre Zielgruppe nicht die feine Gesellschaft wäre. Sie wollten sich an Menschen mit begrenzten Ressourcen wenden. Dieses Konzept wurde ein Erfolg.Mitte der 1990er-Jahre feierte das Unternehmen sein 50-jähriges Jubiläum mit der Herausgabe eines eigenen kleinen Katechismus. Er fasste zusammen, wie die drei Dimensionen Form, Funktion und Preis zu demokratischem Design führen. Die dort vertretene These lautete: Gutes, funktionelles Design zu Preisen, die sich die meisten leisten können, ist demokratisches Design. Und Ellen Key wurde mit ihrem Slogan „Schönheit für alle“ zur Hohepriesterin des Unternehmens ernannt. Während junge Designer zu Beginn der 1990er-Jahre erklärt hatten, dass ebendieser Slogan einer lebensgefährlichen Mediokrisierung den Weg bereitete, gab es viele, die mit erneutem Interesse reagierten. Sie fühlten sich angesprochen.
Schönheit und individueller Ausdruck sind natürlich eine schwierigere Frage. Es verlangt niemand, dass ein einziges Unternehmen alle Schlagzeilen der Agenda lösen soll. Aber in der Designdebatte unseres Jahrhunderts müssen die Klimafrage, die Bekämpfung der Armut wie auch die Transporte, die eng mit Stadt- und Gesellschaftsplanung verbunden sind, sowohl aus lokaler wie auch aus globaler Perspektive behandelt werden.Eines der letzten Projekte, für das sich das hellhörige IKEA engagiert hat, ist „WohnKlug“ (BoKlok) – Wohnen zu niedrigem Preis, gemäß der vorgezeichneten Policy. Zusammen mit dem schwedischen und internationalen Bauunternehmen Skanska baut man nun Wohnungen, Ein- und Mehrfamilienhäuser mit guten Grundschnitten (angepasst an das Sortiment des Möbelhauses) und zu Preisen, die zweistellige Prozentzahlen unter dem üblichen Marktpreis liegen. Das Prinzip ist das gleiche: durchdachte Planung und gute Logistik.
In Schweden gibt es bereits seit mehreren Jahren BoKlok-Gebiete, und derzeit wird in Finnland, Dänemark, Norwegen und Großbritannien gebaut. Die Wohnungen sind so begehrt, dass sie inzwischen per Los vergeben werden. Ein guter Preis in Kombination mit verhältnismäßig gutem Standard scheint heute für viele wichtiger zu sein als künstlerische Materialbearbeitung und Qualität. Es besteht jedoch das Risiko, dass sich die Boklok-Ghettos ausbreiten und nichtsdestotrotz mit ihrer relativ rationalen Einförmigkeit eine Tristesse schaffen, wenn sie nicht mithilfe guter Städteplanung in die Landschaft integriert werden.Ob es sich bei dem Beispiel BoKlok um demokratisches Design handelt, lässt sich diskutieren. Es zeigt jedoch größere, wichtige und interessante Fragestellungen für die Zukunft auf – nicht zuletzt auf das Risiko, ein einziges Unternehmen das Kommando in einer ästhetischen oder gar städteplanerischen Diskussion übernehmen zu lassen. „Demokratisches Design“ sollte mehr als die Themenkomplexe von Warenproduktion und Distribution enthalten. Der Lebensstil eines jeden ist zu einer globalen Frage geworden. Man steht einer Welt gegenüber, in der die billigste Arbeitskraft über den Produktionsstandort entscheidet und wo Menschen unter Einsatz ihres Lebens Rohstoffe fördern. Wurde die Baumwolle für deinen Pulli von einem zwangsrekrutierten Kind in Usbekistan gepflückt, und wie waren die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Fabrik, in der dein Kaffeebecher hergestellt wurde? Das sind politische Fragen.
Aus dem Schwedischen von Michaela Voigt