„Wir wollen Fragen stellen“

ein Gespräch mit Don Edkins

Good Morning America. Ein Land wacht auf (Ausgabe III/2009)


Sie haben Dokumentarfilme produziert, in denen Aidskranke aus Südafrika offen über ihre Situation sprechen. Wo zeigen Sie diese Filme?

Wir haben ein mobiles Kino, das wir auch im Freien aufschlagen können. Wir gehen damit in Gemeindesäle, Krankenhäuser, Gefängnisse oder Polizeireviere. Die Filme sind nicht didaktisch. Sie sprechen Gefühle und Gedanken an. Nach den Vorführungen sind immer Fragen möglich, Moderatoren leiten die Diskussion. 
 
Interessieren sich Menschen, die in großer Armut leben, für Ihre Filme?

Wer hungrig ist, möchte natürlich keinen Film sehen. Man kann aber nichts isoliert betrachten. Ich denke, Gründe für Armut sind auch Mangel an Information und fehlende Beteiligung an der Macht. Ein Film kann eine Basis sein, um Veränderungen in Gang zu bringen. 
 
Was möchten Sie mit Ihrem mobilen Kino erreichen?

Die Aufgabe eines Filmemachers ist es, Fragen zu stellen. Filme sind Teil eines Lernprozesses.Sie können Menschen dazu anregen, ihre eigenen Antworten zu finden. Einmal kam von einer Zuschauerin die Frage: Ich bin HIV-positiv, mein Partner ist negativ, wie können wir trotzdem ein Baby haben? Unsere Moderatoren beantworten solche Fragen. 
 
Erzeugt diese Offenheit auch Konflikte?

Ja. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir zeigten in einem Gefängnis in Lesotho den Film „A Fighting Spirit“ über einen Menschen, der HIV-positiv ist. Bei der anschließenden Diskussion stand ein Häftling auf und sagte den anderen: „Ich bin auch HIV-positiv.“ Das erzeugte eine sehr gespannte Stimmung. Sein Zellengenosse fuhr ihn an: „Das hast du mir nie gesagt, du hast mich in Gefahr gebracht.“
 
Wie haben Sie reagiert?

Unser Moderator musste die Menschen mithilfe der Gefängnisverwaltung beruhigen, was auch gelang. Wenn ein Zuschauer den Mut hat, zu sagen: Ich bin einer von denen im Film, dann ist die Diskussion hinterher unglaublich fruchtbar. Am Ende kommen die Leute zusammen und sagen: Jetzt verstehe ich alles ein bisschen besser. 
 
Für Ihr zweites großes Projekt „Why Democracy?“ befragten Sie Menschen aus der ganzen Welt nach ihren politischen Ansichten. Was reizt Sie am Filmstoff Demokratie?

Der Begriff „Demokratie“ wird auf der ganzen Welt gebraucht und missbraucht. Die Projektidee entstand kurz nach der Entscheidung der USA, den Irak anzugreifen. Wie kann eine Nation, deren grundlegende Prinzipien Unabhängigkeit, Menschenrechte und Demokratie heißen, einen Krieg im Namen der Demokratie beginnen? Wir wollten Gespräche in Gang bringen.
 
Sie leben in Kapstadt. Welche Vorstellungen von Demokratie gibt es in Südafrika?

Wir haben in Südafrika seit 15 Jahren Demokratie. Die Leute haben aber nicht gelernt, dass zur Demokratie unbedingt Respekt und Toleranz gehören. Vielleicht gibt es deshalb so viele fremdenfeindliche Gewalttaten. 
 
Passt die Demokratie also gar nicht zu Afrika?

In traditionellen afrikanischen Gesellschaften gibt es durchaus die Vorstellung, dass ein Stammesoberhaupt für die Menschen Verantwortung trägt und ausgewechselt werden kann, wenn er versagt. Dieses System wurde in der Moderne transformiert. Heute haben wir Diktatoren in Afrika, die von sich behaupten, Demokraten zu sein. Wie Robert Mugabe, das Staatsoberhaupt von Simbabwe. Solche Widersprüche können die Menschen nicht miteinander in Einklang bringen. 

Das Interview führte Carmen Eller
Weitere Informationen unter: www.whydemocracy.net



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