Informationshäppchen

von Hans-Jürgen Lüsebrink

Toleranz und ihre Grenzen (Ausgabe III/2007)


Kulturaustausch, dies mag zunächst fast banal klingen, fördert interkulturelle Kontakte und trägt entscheidend dazu bei, Stereotypen und Vorurteile abzubauen. Nicht zufällig sind die Nationen, denen sich etwa die Deutschen am nächsten fühlen und deren Vertreter sie am sympathischsten finden, genau jene, mit denen der intensivste Kulturaustausch besteht – wenn man unter „Kulturaustausch“ nicht nur die Arbeit staatlicher Kulturinstitutionen versteht, sondern die ganze Bandbreite von Medien und Institutionen in den Blick nimmt, durch die Wissen, Informationen, Ideen und Bilder zwischen Kulturen transferiert und vermittelt werden.

Untersuchungen zur Auslandsberichterstattung in Print- und Bildschirmmedien, etwa von Sonja Kretschmar (Erfurt) und Hartmut Lenk (Helsinki), haben gezeigt, dass die westeuropäischen Nachbarkulturen Großbritannien, Frankreich, Österreich und die Niederlande – mit denen zugleich ein sehr positives Image verbunden wird – hier deutlich dominieren, während osteuropäische und insbesondere außereuropäische Gesellschaften und Kulturen weiterhin, vor allem in deutschen Medien, eine Randstellung einnehmen und vor allem aus diesem Grunde mit stereotypen Vorstellungsmustern verknüpft werden.

Knapp 40 Prozent der Fernsehsendungen, die im deutschen Fernsehen über andere Kulturen berichten, betreffen europäische Gesellschaften, über die Hälfte westliche Gesellschaften, während Kontinente wie Asien und Afrika laut Kretschmar jeweils nur 16,5 Prozent beziehungsweise 9,5 Prozent ausmachen. Selbst in der internationalen Presseschau des Deutschlandfunks dominieren europäische Zeitungen, die sechsmal so häufig zitiert werden wie die Presse des „Rests der Welt“, schreibt Lenk. Das eindeutige Schlusslicht nimmt hier, wie auch in anderen Bereichen des Kulturaustauschs, Afrika ein, der Kontinent, über den Deutsche und generell Europäer am wenigsten wissen, aus dem am wenigsten berichtet und übersetzt wird und mit dem auch die hartnäckigsten Stereotypen und Vorurteile verbunden werden.

Paradoxerweise ist jedoch der Kulturaustausch nicht nur in den Massenmedien in den letzten Jahrzehnten tendenziell in vielen Bereichen zurückgegangen, eine angesichts der zunehmenden Kontakte zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen – vor allem durch Immigration und Tourismus – sehr problematische Entwicklung. So ist beispielsweise in Deutschland die Zahl der Zuschauer für die beiden wichtigsten Sendungen für Auslandsberichterstattung im deutschen Fernsehen, der Weltspiegel (ARD) und das Auslandsjournal (ZDF), von über 12 Millionen im Jahre 1985 auf knapp 5 Millionen gesunken. Auslandsberichterstattung finde, so Kretschmar in ihrem Buch „Fremde Kulturen im deutschen Fernsehen“ (2002), zunehmend in Form von „Informationshäppchen“ statt, die nicht länger als 1,5 Minuten dauern und einen zunehmenden Trend zum Sensationsjournalismus aufweisen, der vor allem die privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie die globalen Fernsehsender wie CNN und BBC World News charakterisiere. „Eine reale Weltgesellschaft existiert nicht mehr sie bleibt ein theoretisches Konstrukt. [...]. Die Folge: Hintergrundberichterstattung und eine Einordnung der Ereignisse in das Weltgeschehen können in diesen Zeitspannen nicht stattfinden.“

Kulturaustausch hängt somit in entscheidendem Maße nicht nur von der Intensität, sondern auch von seiner medial-ästhetischen Form und ihrer intellektuellen Qualität ab. Sensationsjournalismus und Feuilleton-Sendungen über exotische Tourismusziele, die inzwischen einen herausragenden Stellenwert unter den auslandsbezogenen Sendungen vieler westlicher Privatfernsehsender ausmachen, tragen kaum oder gar nicht zu einem Abbau von Stereotypen und Vorurteilen bei, sondern verstärken diese vielmehr. Zur Qualität des Kulturaustauschs trägt die sprachliche Dimension in entscheidender Weise bei. Hierzu gehört die Kenntnis verschiedener fremder Sprachen bei möglichst breiten Bevölkerungsschichten, nicht nur der Nachbarsprachen und nicht nur des Englischen, Französischen und Spanischen, obwohl gerade diese drei europäischen Sprachen auch Zugang zu außereuropäischen Kulturräumen, in Amerika, Asien und Afrika, geben. Übersetzungen stellen gleichfalls ein entscheidendes Mittel des Kulturaustauschs dar, dem paradoxerweise im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, mit der kulturübergreifenden Übersetzungstätigkeit etwa Goethes, Forsters und Diderots, sehr viel mehr Gewicht beigemessen wurde als im gegenwärtigen Zeitalter einer beschleunigten Globalisierung, die deutlich zulasten der qualitativen Intensität des Kulturaustauschs zu gehen scheint.

In keinem Bereich zeigen sich jedoch gegenwärtig Defizite, Chancen und Potenziale des Kulturaustauschs so deutlich wie in den Kulturbeziehungen zwischen dem arabischen Raum und dem Westen: Wie die Übersetzungsstatistiken der UNESCO belegen, liegt das Arabische als Herkunfts- und Zielsprache von Übersetzungen heute weit abgeschlagen hinter weitaus weniger verbreiteten Kultursprachen auf einem 14. beziehungsweise 20. Platz, ein geradezu alarmierender Befund und ein Indikator für frappierende Defizite auch in allen anderen Bereichen des Kulturaustauschs.



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