Die Globalisierung macht auch vor den einst kommunistischen Gemeinschaftssiedlungen in Israel, den Kibbuzim, nicht halt. Bisher teilten deren Mitglieder nach dem Prinzip „Jeder gibt nach seinen Fähigkeiten und jeder bekommt nach seinen Bedürfnissen“ alle Einnahmen.
„Wir waren immer stolz darauf, dass der Kibbuz auf Vertrauen aufgebaut ist und dass niemand das Vertrauen ausnutzt“, erinnert sich die Rheinländerin Silja, die vor zwanzig Jahren als Studentin ein Semester im Kibbuz Dalija bei Haifa verbrachte und dort geblieben ist.
Die alten Zeiten sind vorbei, in Dalija ebenso, wie in den anderen rund 270 Kibbuz-Siedlungen. Drei Viertel der Kibbuzbewohner zahlen inzwischen ihr Essen selbst, ein Drittel der Arztpraxen in den Kibbuzim ist privatisiert. Für ihre Stromrechnung kommen vier von fünf der Kibbuznikim genannten Bewohner selbst auf und zwei Drittel verdienen ein eigenes Gehalt.
„Je zwei Familien teilten sich einen Waschraum, vier Familien wohnten in einem Haus“, erinnert sich die 86-jährige Deutsche Ilana Michaeli. 1939 floh sie als Jugendliche vor den Nazis ins damalige Palästina. Die Berlinerin zog in den Kibbuz Hasorea bei Afula. Damals lebten rund sieben Prozent der Israelis in einem Kibbuz, heute sind es nur noch knapp zwei Prozent der etwa sieben Millionen Einwohner Israels.
Seit der Staat die Wirtschaft zunehmend privatisiert und ausländische Investoren ins Land lockt, weht auch in Israel der eisige Wind des Weltmarkts. Viele der kleinen Kibbuzbetriebe halten der internationalen Billig-Konkurrenz nicht stand. Die Landwirtschaft, die bis in die 1990er Jahre zwei Drittel der Kibbuzeinnahmen lieferte, lohnt sich kaum noch. Die einstige Rolle der Kibbuzim als grenznahe, befestigte Wehrdörfer erweist sich heute als Standortnachteil.
Einige Kibbuzim bestehen dennoch im neuen Konkurrenzkampf. So besitzt das Kibbuz Hetzarim in der Negev-Wüste das weltweite Patent für eine besonders effektive Form der Bewässerung. Über spezielle Schläuche gelangt das Wasser direkt an die Wurzeln der Pflanzen.
Die Kibbuzim haben die Mentalität ihrer Bewohner geprägt. „Sorglosigkeit“ sagt man ihnen nach – im Positiven wie im Negativen. Sie kennen keine Existenzsorgen, gelten aber auch als naiv. Den Umgang mit Geld müssen sie draußen erst mühsam lernen. Besonders ausgeprägt ist allerdings die Sorge um den Nächsten. Diana aus New York wohnt heute mit ihren beiden Kindern im abgelegenen Wüstenkibbuz Qetura. In der Gemeinschaft fühlt sie sich sicher und geborgen. Besonders schätzt sie, „dass man hier immer genug zu essen und ein Dach überm Kopf hat. Wenn du krank bist, kümmert sich immer jemand um dich.“
Vorteile, die viele junge Leute, die im Kibbuz aufgewachsen sind, so nicht mehr sehen. Nach Armeedienst und Studium kehren nur wenige zurück in die Gemeinschaft. „Die Kibbuzim haben ihre jungen Leute zu unabhängigen, weltoffenen Menschen erzogen“, sagt Shlomo Getz vom Kibbuzforschungsinsitut der Universität Haifa. „Damit hatten sie so großen Erfolg, dass die jungen Leute glauben, alles erreichen zu können und meinen, den Kibbuz nicht mehr zu brauchen. Das Kibbuzsystem war es ja, das ihnen alle Wege öffnet.“
Mit zahlreichen Reformen versuchen die Kibbuzim, junge Leute anzulocken und den wirtschaftlichen Niedergang zu stoppen: Die Gehälter, die einst aufs Gemeinschaftskonto flossen, werden nun direkt an die Mitglieder überwiesen. Im Zuge der „Privatisierung“ genannten Änderungen müssen nun alle Lebenshaltungskosten selbst bezahlt werden. Wer einen gut bezahlten Job außerhalb hat, lebt nach der Privatisierung besser. Die Alten und gering Qualifizierten, die der Kibbuz bislang irgendwo mit beschäftigte und ernährte, verlieren ihre Lebensgrundlage und ihre Arbeit, die sie zum Teil der Gemeinschaft machte.
Fast überall klagen Kibbuzmitglieder über Genossen, die ihre Macht als Verantwortliche beispielsweise bei der Verteilung der Jobs ausnutzen. Von „Klüngelwirtschaft“ bis „Mafia“ reichen die Vorwürfe. Nun hoffen viele, dass sich niemand mehr auf Kosten anderer an den Gemeinschaftsgütern bereichern wird, wenn jeder marktübliche Preise für die Leistungen des Kibbuz bezahlt. So finden die „Privatisierungen“ in den meisten Kibbuzim nach langen Diskussionen – meist gegen den Widerstand der Älteren – eine Mehrheit in der Vollversammlung, die bis heute über alle die Gemeinschaft betreffenden Fragen entscheidet.