Die Ziele von Entwicklungshilfe und die politische Realität in Konfliktgebieten sind oft parallele Universen. Mit Hilfeleistungen wollen Geberländer vor allem den Frieden sichern und Konflikte beilegen. Seit man erkannt hat, dass Frauen unverhältnismäßig stark unter den Folgen von Krieg und Vertreibung leiden, wollen die Staaten, die Unterstützung gewähren, durch ihre Interventionen zudem Geschlechtergleichheit und -gerechtigkeit herstellen und festigen. Wie bewähren sich diese beiden Anliegen vor Ort?
Als nach dem Fall der Taliban in Afghanistan die Vereinten Nationen mit dem Wiederaufbau des Landes begannen, setzten sie eine ganze Serie von Meilensteinen für Frauenrechte: Ein Frauenministerium wurde 2002 eingerichtet und damit beauftragt, Strategien zur Geschlechtergleichstellung in die Politik und die Programme der Hauptministerien einzubringen. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) wurde von der afghanischen Regierung ohne Einschränkung im März 2003 unterzeichnet. Und ein Zehnjahresplan für die Frauen in Afghanistan wurde mit fachlicher Unterstützung von UNIFEM als wichtigstes Mittel zur Förderung von Gleichstellungsstrategien in den Nationalen Entwicklungsplan der afghanischen Regierung aufgenommen.
Die Hauptkraft hinter dieser sogenannten Gender-Mainstreaming-Agenda waren ausländische Berater, die den afghanischen Ministerien an die Seite gestellt wurden. Sie kamen aus den Entwicklungshilfeinstitutionen der Staaten, die sich am zivilen Aufbau Afghanistans beteiligten, und hatten die Aufgabe, lokale Mitarbeiter im Vokabular des Gender-Mainstreaming und in Gleichstellungsfragen zu schulen, damit sie die von den Gebern erwarteten Rechenschaftsberichte produzieren konnten. Auch wenn das nicht im Mindesten nur auf Afghanistan beschränkt ist, so traf es hier doch eine besonders kleine Basis afghanischer Frauenrechtsaktivistinnen, die in die Projekte und Programme der internationalen Geberinstitutionen und ihrer Experten umdirigiert wurden. Es kam zu einem weiblichen Braindrain von den zivilgesellschaftlichen Frauenorganisationen – denen, die vor Ort in Afghanistan agierten, wie denen der Diaspora – hin zu den von Gebern finanzierten Programmen und Projekten. Inzwischen haben Untersuchungen auch belegt, dass alle Bemühungen der internationalen Geberländer, lokale Mitarbeiter in der Begrifflichkeit und den Anliegen der Gleichstellungspolitik auszubilden, wenig Erfolg hatten.
Diese Defizite sind allerdings angesichts eines noch schwerer wiegenden politischen Fehlers von untergeordneter Bedeutung. Während alle Anstrengungen sich auf die ministerielle Ebene in Kabul konzentrierten, wurden die Regierungserlasse im Rest des Landes, vor allem in den großen Landstrichen im Osten und Süden, in denen der Aufstand der Taliban stattfindet, weniger und weniger befolgt. Die Geber sahen dort keine realistische Möglichkeit mehr, staatliche Strukturen aufzubauen, die ausreichend stark sind, um für Sicherheit, Gerechtigkeit und Entwicklung zu sorgen. Stattdessen setzte die Gemeinschaft der Geberländer darauf, die lokale Selbstverwaltung zu festigen, indem „traditionelle“ Institutionen wie die Shuras und Jirgas wiedereingesetzt oder umgestaltet wurden.
Der Human Development Report 2007 stellte für Afghanistan ein hybrides Justizsystem fest: Einerseits wird die Streitschlichtung nichtstaatlichen informellen Institutionen überlassen, andererseits ist Afghanistan verpflichtet, internationale Menschenrechtsstandards einzuhalten. Die Quadratur des Kreises wird erreicht, indem die Staatengemeinschaft vorschlägt, dass die untergeordneten nicht formalen Gerichte nur unwesentliche zivile oder kriminelle Angelegenheiten verhandeln sollen. Damit werden aber praktisch alle Klagen, die das Leben von Frauen betreffen, schwerwiegende Verbrechen wie Vergewaltigung eingeschlossen, in die Hände von Organen gelegt, die Frauen gegenüber voreingenommen sind.
Jenseits der Frage nach der politischen Wirksamkeit von Interventionen hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit weist die Entwicklungshilfepolitik der Geberländer erhebliche Widersprüche auf. Einerseits will man Frauenrechte mithilfe globaler Institutionen und ihrer Instrumente und Maßnahmen zum Gender-Mainstreaming ausweiten und festigen. Auf der anderen Seite verfolgt man noch intensiver eine Politik, die einen Ausstieg aus dem formalen Rechtssystem bedeutet und dezentralisierte „traditionelle“ Akteure mit wenig juristischem Weitblick und eingebauter Voreingenommenheit gegen Frauen favorisiert. Wenn im Zuge einer Strategie zur Bekämpfung des Aufstands der Taliban die Herstellung von Ruhe und Ordnung privatisiert und an bewaffnete Milizen abgetreten wird, denen auch die Rechtsprechung obliegt, dann sind alle Bedingungen für ein Scheitern von Frauenrechten effektiv in Szene gesetzt und machen die Hohlheit der Gender-Mainstreaming-Agenda augenfällig.
Aus dem Englischen von Karola Klatt