Kondwani liest Nietzsche auf dem Klo, fängt sich beim Regentanz Malaria ein und erfindet als Teenager seine eigene Religion. In Samson Kambalus Debütroman „Jive Talker“ ist das Leben des Helden vom ersten Atemzug an ein Abenteuer. Weil das Krankenhaus seiner malawischen Heimatstadt keine Brutkästen besitzt, überlebt der zu früh geborene Kondwani nur „dank der Kängurumethode“, gebunden an die Brust seiner Mutter. Fortan bleibt es sein Sport, dem Tod von der Schippe zu springen. Mal kriecht ein Spulwurm aus seinem Kinderpo, mal kitzelt ihn ein Leprakranker. Und wenn Kondwani einen an Skorbut leidenden Fußballfreund in seine Mango beißen lässt, bekommt er sie blutig zurück, „einmal sogar mit einem Zahn drin“.
Der autobiografische Roman des heute in London lebenden Malawiers Kambalu ist ein Selbstporträt des Künstlers als junger Mann – die Geschichte eines Afrikaners, der zwischen Eingeborenenfesten und Eliteschule pendelt und an eine Karriere als Künstler glaubt, obwohl er in einem Land ohne Galerien wohnt. Während die Familie unter rissigen Moskitonetzen von Maisbrei lebt, träumt der Vater von einer Zukunft als Multimillionär. Tagsüber kuriert er als Arzt Schlangenbisse, nachts reißt er seine Kinder betrunken aus dem Schlaf. Im Rausch philosophiert er stundenlang über Gottes Tod und die Welt. Kondwani nennt ihn deshalb den „Jive Talker“ – afroamerikanischer Slang für „Schwätzer“. Doch Kondwanis eigene Klappe ist mindestens genauso groß.
Kambalus rasantes Romandebüt besticht durch originell gezeichnete Figuren, eine herrlich unflätige Sprache und einen Erzähler, den man schon nach wenigen Seiten zu kennen glaubt. Mit Humor, Größenwahn und Selbstironie manövriert sich Kondwani durch den afrikanischen Alltag. Verfällt erst der Musik und dann der Malerei. Um eine Lederjacke wie die von Michael Jackson zu ergattern, verkauft er heimlich die Pillen seines Vaters. Dann schlüpft er in Plastikschuhe, fasst sich in den Schritt und tanzt im Gemeindesaal zu „Billie Jean“. In der Liebe dagegen ist Kondwani ein Pechvogel. Zwar bringt ihm eine Mitschülerin den Zungenkuss bei, aber die schöne Samala hält ihn für schwul. Dabei kommt er doch nur deshalb mit rot lackierten Nägeln in die Schule, damit ihm Mrs Gently, die umschwärmte Englischlehrerin, die Farbe eigenhändig entfernt.
Egal ob er von Giftschlangen im Wohnzimmer erzählt oder dem Evangelistenprediger Reverend Russell, dessen Schäfchen ihr Seelenheil teuer erkaufen müssen – in seinem von Marlies Ruß pfiffig übersetzten Jugendjargon zieht Kondwani den Leser in sein Leben. Haarsträubende Geschichten mixt er mit Nietzsche-Zitaten, Songtexten und experimenteller Poesie. Ironisch distanziert beschreibt er einheimische Rituale. „Ich war der Geist eines Eingeborenen, der zu viele Bücher gelesen hatte und dabei durchgedreht war“, erklärt er zum Gule-Wamkulu-Fest und zeichnet, geschützt durch eine rosarote Holzmaske, heimlich die badenden Mädchen.
Kondwani gibt sich den Namen Samson, beklebt einen Fußball mit Bibelseiten und nennt sein Werk „Holy Ball“. So heißt auch das bekannteste Werk des Künstlers und Autors Kambalu. Genau deshalb hätte er besser darauf verzichtet, euphorische Gästebucheinträge zu dessen Austellung in seinen Roman zu flechten. Für die literarische Selbstbespiegelung entschädigt der Schriftsteller allerdings mit intelligenter Situationskomik, witzigen Dialogen und Innenansichten einer Kultur, zu der Europäern vor allem Katastrophen einfallen. Dabei konfrontiert auch Kambalu den Leser mit Armut und AIDS. In gnadenlosen Details schildert er, wie sein Vater stirbt, ein von AIDS gezeichnetes „lachendes Skelett“.
Kambalus Geschichte verblüfft vor allem deshalb, weil sie den leichten Ton auch in traurigen Momenten hält. Weil sie unsentimental von Hunger, Tod und Krankheit spricht. Weil sie Klischees über die afrikanische Wirklichkeit mit trockenem Humor pariert. Etwa wenn der Vater die Kinder davor warnt, sich von Touristen fotografieren zu lassen: „Sonst landet ihr noch auf dem Spendenaufruf irgendeiner Hilfsorganisation.“ Und als Kondwani einer Touristin anbietet, eine Zeichnung gegen eine Zahnbürste zu tauschen, schickt sie ihm gleich eine ganze Schachtel. „Da ich nicht wusste, was ich mit so vielen Zahnbürsten anfangen sollte“, sagt Kondwani „verwendete ich immer vier gleichzeitig, zwei in jeder Hand. Meine Geschwister machten es genauso.“
Der „Jive Talker“, das ist am Ende der Erzähler selbst. Selten versucht er, die malawische Welt zu erklären. Viel lieber, und das macht ihn so sympathisch, hinterfragt er ihre Widersprüche und stellt nebenbei herkömmliche Vorstellungen von Romantik auf den Kopf. Denn bei Kambalu kommt die Liebe mit einer Frau ins Haus, die beim ersten Treffen den Hund des Helden überfährt.
Jive Talker. Von Samson Kambalu. Aus dem Englischen von Marlies Ruß. Unionsverlag, Zürich, 2010.