Der Vulkan Momotombo in Nicaragua

von Gioconda Belli

Körper (Ausgabe II/2010)

-

Mit 1.300 Metern zählt der Momotombo zu den höchsten Vulkanen Nicaraguas. Zuletzt brach er 2016 aus. Foto: Jorge Mejia


Wenn man von Managua aus die Carretera Sur Richtung Jinotepe nimmt, bei Kilometer 28 nach links abbiegt und den Hügel hinauffährt, kommt man zu einer alten Kaffeeplantage, der „Hacienda der Wolken“, die einem meiner Onkel gehörte. Das Beeindruckendste am Panorama von dort oben ist der Momotombo, ein schlafender Vulkan mit einer perfekten Kegelform. Vor dem Momotombo liegt ein kleinerer Feuerspucker, der Momotombito. Nachmittags sieht es so aus, als würde der Vulkan mit seinem kleinen Sohn spazieren gehen.

Dort oben zu stehen, an jenem Ort, wo im Winter die Passatwinde toben und Wolken und Nebel in die Häuser dringen, hat eine besondere Magie. Die wichtigsten Entscheidungen meines Lebens habe ich dort getroffen. Wenn ich mich vom Trubel der Hauptstadt entferne und jene alten Wege betrete, die durch ehemalige Kaffeefelder mit riesigen hundertjährigen Bäumen führen, atme ich eine andere, eine dünne und saubere Luft. Mich auf den windigen Hügel zu setzen, die Vulkane zu meinen Füßen, erfüllt mich mit dem Gefühl tiefen Friedens. Diese Landschaft ist meine Heimat, ist das, was ich vor mir sehe, wenn ich an Nicaragua denke.

Als Kind verbrachte ich einen Teil meiner Sommerferien auf der „Hacienda der Wolken“. Hier, in der Nähe der Vulkane, wurde auch mein politisches Bewusstsein entfacht, wie ein Feuer, das langsam zu brennen beginnt. Es war uns verboten, den Teil der Hacienda, wo sich die Arbeiter aufhielten, zu betreten. Doch ich schlich trotzdem zu ihren Unterkünften. Es waren große Baracken mit übereinandergestapelten Fächern, in denen ganze Familien schliefen, wie in einem Taubenschlag. Dieser Anblick hat mich sehr erschreckt. Ich dachte, wie kann mein Onkel, der doch ein guter Mensch ist, ein solch schlimmes Geheimnis hüten.

Heute stehen an der Straße zur Hacienda unzählige Antennen und Sendemasten. Vor einiger Zeit entdeckte ich weiter unten am Berg ein Haus, das seit der sandinistischen Revolution 1979 verlassen war. Als ich durch die leeren Zimmer ging, bemerkte ich, dass man von dem Haus aus denselben Blick hat wie von der Hacienda meines Onkels. Ich dachte, das muss ein Zeichen sein. Also kaufte ich das Haus und wohne seitdem dort neben dem Momotombo und dem Momotombito.

Protokolliert von Timo Berger



Ähnliche Artikel

Heiße Zeiten. Wie uns das Klima verändert (Bücher)

Ganz unten

von Parag Khanna

Der britische Ökonom Paul Collier zeigt in seinem neuen Buch, warum das Elend der ärmsten Staaten mit traditionellen Mitteln nicht überwunden werden kann

mehr


Raum für Experimente (Thema: Experimente)

„Afrika ist das Labor der Zukunft“

ein Interview mit Achille Mbembe

Die Komplexität globaler Fragen überfordert uns. Der Philosoph erklärt im Gespräch warum es nicht an neuen Ideen, sondern an deren Umsetzung mangelt

mehr


Körper (Thema: Körper)

„Der Körper vergisst nichts“

ein Gespräch mit Tchekpo Dan Agbetou

Was Tanzen über Menschen verrät

mehr


Frauen, wie geht's? (Köpfe)

Afrikas Musikgedächtnis

Bereits als Sechzehnjähriger tanzte Wolfgang Bender zu den damals aktuellen Rhythmen in Nigeria, wo er in den 1960er Jahren zur Schule ging. Die Begeisterung fü...

mehr


Was bleibt? (Ein Haus ...)

Ein Haus in Nicaragua

von Alejandra Sequeira

Wenn man dieses Haus in Léon, Nicaragua, betritt, schlägt einem der süße Duft von Baiser entgegen

mehr


Heiße Zeiten. Wie uns das Klima verändert (Bücher)

Offensiver Charme

von Konrad Seitz

China hat in den letzten Jahren ein positives Bild in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens aufgebaut – eine Analyse des amerikanischen Journalisten Joshua Kurlantzick

mehr