Die Dichterin Gertrud von Le Fort hat gesagt: „Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind.“ Können Sie damit etwas anfangen?
Ja. Seit ungefähr sieben Jahren interessiere ich mich sehr für Neurobiologie. Eine interessante Sache, die man da herausgefunden hat, ist, dass sich nach der Geburt nicht nur das Gehirn des Babys im Kontakt zur Mutter entwickelt – etwa durch Blicke und Gespräche mit dem Kind –, sondern auch das Gehirn der Mutter. Frauen verändern sich durch die Mutterschaft auf der neurobiologischen Ebene. Ich will nicht sagen, dass Ratten wie Menschen sind, aber in Experimenten haben Wissenschaftler entdeckt: Mutterratten sind schlauer als die jungfräulichen Tiere und finden leichter Wege durch ein Labyrinth. Das finde ich faszinierend.
Beschreiben Sie bitte, was Muttersein für Sie bedeutet.
Mutter zu werden, das nenne ich die dritte große Leidenschaft im Leben. Die erste große leidenschaftliche Bindung hat man zu seiner Mutter und dann zu beiden Eltern, die zweite zur geliebten Frau oder zum geliebten Mann und die dritte zum eigenen Kind. Es ist unglaublich, wie sehr man sich in das Baby verliebt.
Wie haben Sie die Geburt Ihrer Tochter Sophie erlebt?
Du bekommst dieses unentwickelte, zerbrechliche Wesen, einen nackten Fremden, und diese Verantwortung ist ziemlich überwältigend. Ich war völlig fasziniert und erstaunt. Ich liebte Sophie schon, bevor sie auf der Welt war und ich sie in meinen Armen hielt. Ich habe manchmal sogar von meinem Baby geträumt und in meiner Vorstellung schon eine Beziehung zu ihm aufgebaut.
In Ihrem Roman „Was ich liebte“ sagt der Erzähler Leo über die Geburt seines Sohnes, sie sei „brutal, blutig und schmerzhaft“.
Ja, das ist Leos Perspektive. Als Vater sieht er das anders als die Frau. Meine Erfahrung war eine durchmischte. Die Fruchtblase platzte und ich bekam das Mittel Petosan, um die Wehen anzuregen. Ich hatte zwischen den Wehen also sehr wenige Pausen. Aber am Ende, als ich das Baby herauspresste, erlebte ich wahrscheinlich einen Stoß dieses Mutterhormons Oxidocin. Jedenfalls fühlte ich mich großartig. Ja, ich liebte diesen Teil der Geburt.
Wie wichtig finden Sie die Anwesenheit des Vaters im Kreißsaal?
Bei manchen Leuten in den USA spielen sich ganze Familiendramen im Kreißsaal ab! Sehr viele Familienmitglieder sind anwesend und es wird alles gefilmt. Für mich war die Geburt eine eher private Sache. Ich wollte auf jeden Fall, dass mein Mann dabei ist, aber ich brauchte keinen Chor hinter mir. Vielleicht war es für Paul wichtiger dabei zu sein als für Sophie. Er erinnert sich daran, sie nicht (lacht).
Wie lange hat die Geburt gedauert?
13 Stunden. Ziemlicher Durchschnitt.
Hatten Sie Angst?
Ich kenne Frauen, die eine schreckliche Geburt erlebt haben. Dinge liefen schief und sie hatten Angst, das Baby zu verlieren. Das alles gab es bei mir nicht. Ich würde sagen, zum größten Teil war es eine positive Erfahrung. Aber wissen Sie, was ich wirklich interessant fand? Diese unglaubliche Trennung zwischen dem, was der Körper macht, und dieser Stimme in deinem Kopf, die ich den inneren Erzähler nenne. Diese Distanz habe ich im Leben vorher und nachher nie empfunden. Man sagt seinem Körper nicht, was er tun soll. Er durchläuft einfach diese intensiven natürlichen Bewegungen und treibt das Kind heraus. Diese Trennung interessiert mich.
Können Sie sich heute noch an die Schmerzen erinnern?
Das ist eine gute Frage, was es bedeutet, sich an Schmerz zu erinnern. Niemand kann in seiner Erinnerung den Schmerz, den er hatte, reproduzieren. Man erinnert sich daran, dass es schmerzhaft war, aber man kann diesen Schmerz nicht wieder „verkörpern“. Ich denke, es ist normal, dass die Menschen vergessen. Meine Mutter, die vier Kinder hatte, dachte, nachdem meine jüngere Schwester, ihr letztes Kind, geboren war: Wie schade, dass es das letzte Mal ist. Und das war direkt nach den ganzen Schmerzen der Geburt. Es ist nicht so, dass die Frauen den Schmerz vergessen, aber es gibt etwas, was ungeheuer glückbringend sein kann – trotz der Schmerzen, die mit der Geburt verbunden sind. Dass ein Mensch aus einem anderen Menschen herauskommt, ist ein Wunder.
Gab es mit der Geburt verbundene Rituale, die wichtig für Sie waren?
Rituale waren weniger wichtig. Man hält das Baby, man wiegt es, man reagiert aus dem Bauch heraus. Vieles an der Mutterschaft verläuft unbewusst. Die Geburt ist ein natürlicher Prozess, aber auch ein soziales Konstrukt. Als ich 1987 meine Tochter auf die Welt brachte, galt es in meiner Subkultur als schick, alle Schmerzen auszuhalten und zu durchlaufen, was man eine „natürliche Geburt“ nannte. Daran habe auch ich mich gehalten. Das ist nun, zumindest in den Vereinigten Staaten, aus der Mode gekommen.
Welche kulturellen Unterschiede fallen Ihnen beim Thema Geburt auf?
Ich habe einmal etwas über einen Stamm in Afrika gelesen, in dem die Frauen ganz still gebären. Als ein Anthropologe später einige von ihnen interviewte, stellte sich heraus: Die Frauen schrien einfach nicht, weil das in ihrer Kultur so erwartet wurde. Aber selbst in Skandinavien schreien die Frauen nicht besonders viel.
Wie hat sich unsere Sicht auf die Geburt in der Geschichte verändert?
Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert gibt es eine große Sehnsucht, Geburt und Mutterschaft zu sentimentalisieren. Ich glaube, ein Grund dafür ist, dass die Geburt etwas beinhaltet, das Angst einflößt. Sie ist ein brutales Ereignis – ganz sicher auch für das Baby. Viele Männer fürchten sich wahnsinnig davor. Die sentimentalen Bilder sind ein Weg, das zu verschleiern. Man muss aufpassen, dass man sich nicht in diesen kulturellen Klischees verstrickt.
In Ihrem Essay „Being a man“ schreiben Sie über die Belastung durch kulturell bedingte Vorstellungen von Weiblichkeit. Empfinden Sie Ähnliches für die Rolle der Mutter?
Ich glaube, in der oberen Mittelschicht geht man heute zu weit mit der Vorstellung von der idealen Mutter. Viele Eltern, besonders die wohlhabenden, organisieren zu viele Aktivitäten für ihre Kinder. Sie lassen ihnen zu wenig Zeit, frei herumzuspielen, zu träumen und sich zu langweilen. Spielen ist sehr wichtig, um die Phantasie, aber auch ein Gefühl für Autonomie und Unabhängigkeit zu entwickeln.
Sowohl Sie als auch Ihr Mann Paul Auster sind Schriftsteller. Wie hat das die Erziehung Ihrer Tochter beeinflusst?
Es war früher eines meiner größten Vergnügen, meiner Tochter vorzulesen. Wir lasen enorm viele Bücher und ich liebte es so sehr wie sie. Es ist schwer zu sagen, aber ich glaube, dadurch, dass wir über viele Jahre hinweg jeden Abend sehr lange zusammen gelesen haben, wurde wahrscheinlich Sophies Art, die Welt zu sehen, und ihre Fähigkeit, aufmerksam zu sein, beeinflusst. Wir sprachen über Bücher und Gedichte. Schon sehr früh hat Sophie von allein angefangen, Gedichte zu lesen. Sie ist ein sehr musikalischer Mensch. Sie singt und hat ein gutes Ohr, sowohl für den Rhythmus der Prosa als auch für die Musik.
Wie hat das Muttersein Ihre schriftstellerische Arbeit geprägt?
Sicher hätte ich nicht so viel über Eltern und Kinder geschrieben, wenn ich nicht Mutter geworden wäre. Natürlich bin ich aber auch selbst Kind. Das Drama des Familienlebens war mir immer sehr nahe, obwohl meine ersten beiden Romane, „Die unsichtbare Frau“ und „Die Verzauberung der Lily Dahl“ in erster Linie Initiationsgeschichten junger Frauen waren. Wenn ich nicht Mutter geworden wäre, hätte ich vielleicht mehr Bücher geschrieben, aber nicht die Bücher, die es jetzt von mir gibt.
Ihren Roman „Die Sorgen eines Amerikaners“ haben Sie Ihrer Tochter Sophie gewidmet.
Ja, ich habe Sophie das Buch gewidmet, weil sie zu seinem Erscheinen schon eine reife, erwachsene Person und Leserin war. Heute ist sie 22. Darüber hinaus, denke ich, war das auch eine Geste über Generationen hinweg. Denn in diesem Roman habe ich Aufzeichnungen von meinem Vater, also Sophies Großvater, eingebunden. Das Buch handelt von Geschichten, die über mehrere Generationen spielen, sogar unerzählte Geschichten, die allein in der Psyche weiterleben. Im Buch geht es um Geister, die wir über Generationen mit uns tragen.
Das Interview führte Carmen Eller