Wir nennen ihn „den Damm“. Eigentlich ist es eine Betonmauer, die in das Tal nahe bei Jerusalem zwischen drei auf Hügeln gelegene Orte gebaut wurde: zwischen Beit-Zait (das Dorf, dem der Damm seinen „offiziellen“ Namen verdankt), Ein-Kerem (einen Stadtteil von Jerusalem, in dem ich zur Schule ging) und Motza Elite (das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin). Diese Hügel waren der Spielplatz meiner Kindheit – die Terrassen, die Pinien, die alten Steinbauten. Vor allem im Winter, wenn der Damm sich mit Wasser füllte und der Geruch feuchter Pflanzen in der Luft lag, wurde der Stausee für uns Kinder zum Ort der Abenteuer. Manche von uns bauten Flöße, um damit zu segeln, manche wollten baden und andere stapften nur durch den Matsch bis zum Wasser.
An einem Wochenende wollten zwei Kinder im See schwimmen und ertranken dabei. Am nächsten Morgen sprach der Schuldirektor vor jeder Klasse und erläuterte die Gefahren des Stausees. Er warnte uns, dass es unter allen Umständen verboten sei, zum Damm zu gehen. Während der ersten großen Pause des Tages liefen mein Freund Amir und ich hinüber, um den Tauchern beim Suchen der Leichen zuzuschauen.
Zur Strafe durften wir nicht zum großen jährlichen Schulausflug in die Wüste mitkommen und hatten eine Woche lang Hausarrest. Wenn ich heute, dreißig Jahre später, zurückblicke, glaube ich, dass es sich gelohnt hat. Die Erinnerung ist den Preis wert. Hätten wir die Regeln nicht gebrochen, um auf unsere Abenteuerreise zu gehen und die Suchaktion zu beobachten, und hätten wir nicht den Zorn der Lehrer und Eltern auf uns gezogen, wäre es nur ein ganz normaler Wintertag in der fünften Klasse gewesen. Er wäre uns keine drei Wochen, geschweige denn dreißig Jahre lang in Erinnerung geblieben.
Amir wurde im Februar 1988 im Libanon getötet. Und in den vergangenen Jahren gab es nicht einmal im Winter genug Regen, um den Damm mit Wasser zu füllen. Deshalb ist die Erinnerung umso wichtiger.
Aus dem Englischen von Loel Zwecker