Rangfolgen und Bestenlisten begegnen uns auf Schritt und Tritt: die teuersten Städte, die am meisten entwickelten Länder, die interessantesten Unternehmensstandorte oder die erfolgreichsten Hochschulen. Rankings ordnen nach Qualität, Quantität oder anderen definierten Kriterien und liefern Orientierung in einer scheinbar undurchschaubaren Masse. Es war deshalb wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch die Denkfabriken dieser Welt auf einer Bestenliste mit dem Titel „The Global ‚Go-To Think Tanks’. The Leading Public Policy Research Organisations In The World“ sortiert wurden. Ständige Anfragen von Journalisten, Wissenschaftlern und Regierungsstellen nach führenden Denkfabriken veranlassten Dr. James G. McGann, Direktor des „Think Tanks and Civil Societies Program“ der Universität von Pennsylvania, diese Frage systematisch anzugehen. 5.465 Denkfabriken hat die Forschergruppe in 169 Ländern identifiziert. Die größte ist die RAND Corporation mit einem Budget von 230 Millionen US-Dollar und 1.600 Mitarbeitern weltweit – unter ihnen Henry Kissinger, John Forbes, Donald Rumsfeld und Condoleezza Rice.
Die kleinsten Denkfabriken sind dagegen Ein-Mann-Unternehmen. Manche Think Tanks arbeiten international zu allen wichtigen Themen der Zeit, andere nur auf lokaler Ebene und hochspezialisiert, manche werden von Regierungen finanziert und gesteuert, andere sind gänzlich unabhängig. Wie findet man in dieser breit gefächerten Masse der Denkfabriken nun aber die besten? Die Qualität von Expertenwissen oder die Einflussnahme auf die Politik lassen sich nur schwer messen. Soll man die Anzahl von Google-Einträgen für Think Tanks vergleichen oder wie oft ein Think Tank beziehungsweise seine Wissenschaftler in den Zeitungen erwähnt werden? Das Ranking der Top Think Tanks der Universität von Pennsylvania basiert auf einer weltweiten Meinungsumfrage unter Wissenschaftlern, die über Think Tanks forschen, bei Direktoren und Mitarbeitern von Denkfabriken, öffentlichen und privaten Geldgebern sowie politischen Entscheidungsträgern. Laut James McGann gibt es so nun einen „Führer, erstellt von Insidern, über den umkämpften Marktplatz gewichtiger Gedanken“.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Zahl der Neugründungen von Instituten und Organisationen, die im Sinne einer wissenschaftlichen Politikberatung Konzepte und Strategien für bestimmte Politikfelder entwickeln, stetig gewachsen und in den 1980er-Jahren geradezu explodiert. Im gleichen Maß nahmen auch die Bandbreite der Betätigungsfelder sowie der Einfluss auf politische Entscheider zu. In den USA setzte Ronald Reagan auf die Experten der konservativen Heritage Foundation, Bill Clinton vertraute auf die Gelehrten der Brookings Institution, George W. Bush konsultierte das neokonservative American Enterprise Institute und Barack Obama umgibt sich laut New Yorker gleich mit einem ganzen „Team von Intelligenzbestien“, darunter ein Dutzend Mitarbeiter der Brookings Institution.
In den letzten zehn Jahren ist der Trend zur Neugründung von Denkfabriken jedoch fast völlig zum Erliegen gekommen. Ist der Markt für Politikberatung erschöpft? Sind alle relevanten Politikfelder besetzt? Für die entwickelten Industrieländer scheint es fast so zu sein. Die Anstrengungen, meint McGann, sollten sich nun auf jene Regionen der Welt konzentrieren, in denen Expertenwissen noch kaum in Regierungsentscheidungen einfließt. Doch gerade am Einfluss der Denkfabriken auf Regierungsentscheidungen entzündet sich auch die Kritik. Als „heimliche Regierungen“, die aus Präsidenten Marionetten machen, werden gerade die großen renommierten Institute kritisiert. Es wird beklagt, dass ihre Macht zu einer „Privatisierung der Politik“ führe.
Die Studie zur Bewertung der Denkfabriken geht einen zweistufigen Weg. Zunächst baten die Forscher der Universität Pennsylvania eine internationale Expertengruppe anhand von definierten Auswahlkriterien führende Think Tanks zu nominieren. Nur Denkfabriken, die mindestens zwei Nominierungen erhalten hatten, erreichten die Endrunde. Eine Liste mit den 407 Finalisten ging dann an alle 5.465 Think Tanks aus dem Datenbestand des Programms und einige weitere Hundert Think-Tank-Kenner mit der Aufforderung, die Top Think Tanks der Welt zu benennen sowie diejenigen für bestimmte Regionen und Forschungsgebiete. Problem dieser Untersuchung war, wie so oft bei Briefbefragungen, ihr Rücklauf: Von über 6.000 aufgeforderten Think-Tank-Experten gaben lediglich 150 Angeschriebene ihre Bestenlisten ab. Bei einer so kleinen Gruppe hätte McGann im Sinne der Transparenz auch die Institutionen, Funktionen und Nationalitäten der Auskunftgebenden aufzeigen müssen, die schließlich für das Entstehen der Top-Think-Tank-Listen maßgeblich waren. Ohne diese Information bleibt die Aussagekraft des Rankings sehr zweifelhaft.
Unangefochtener Weltführer in der Etablierung von Think Tanks sind laut der Studie die USA. Beachtliche 1.777 Denkfabriken listet der Bericht für das Gebiet der Vereinigten Staaten auf. Eine Zahl, die umso stärker wirkt, wenn man sie neben den Zweitplatzierten, Groß-britannien, mit gerade einmal 283 Instituten, stellt. Es folgen Deutschland (186), Frankreich (165), Argentinien (122), Indien (121), Russland (107), Japan (105), Kanada (94) und Italien (87). Natürlich belegen diese absoluten Zahlen nicht eine intellektuelle Vormachtstellung der USA. Viel eher schon sagen sie etwas aus über verfügbare finanzielle Mittel für politische Partizipation und die Akzeptanz von Lobbyismus. Um Verzerrungen auszuschließen, wurden die US-Denkfabriken gesondert als Gruppe bewertet und liefen im internationalen Vergleich gewissermaßen außer Konkurrenz. So stellt der Bericht eigentlich zwei Rankings von Top Think Tanks bereit, eines für die Vereinigten Staaten und eines für den Rest der Welt.
Über den siebten Platz der besten Denkfabriken außerhalb der USA freut sich Professor Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: „Wir se-hen das als große Auszeichnung, aber auch als Verpflichtung und Ermunterung, den Weg zu einem international handlungsfähigen Think Tank konsequent weiter zu beschreiten.“ Und der Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Dr. Wolfgang Gerhardt, zeigt sich besonders erfreut darüber, dass seine Stiftung als einzige parteinahe Stiftung unter den besten 25 Think Tanks in Westeuropa auftaucht. Auch der European Council on Foreign Relations ist von der Ernennung zum „besten der in den letzten fünf Jahren gegründeten Think Tanks“ angetan.
Doch längst nicht alle Institute bejubeln ihre vorderen Plätze kritiklos. David Roodman vom Center for Global Development (CDG) sieht den 15. Platz seines Instituts mit gemischten Gefühlen: „Ich frage mich, ob die angewandten Methoden das gute Abschneiden des CDG nicht kippen. CDG hat ein großes Publikum in vielen Ländern. Deshalb ist unsere Arbeit vielleicht bekannter als, sagen wir, die Arbeit des Center for Studying Health System Change, wo meine Frau arbeitet und das stolz darauf ist, in aller Stille 535 Kongressabgeordnete mit objektiven Daten und Analysen zum US-Gesundheitswesen zu versorgen. Außerdem waren vermutlich überproportional viele Amerikaner unter den Antwortenden, die vor allem mit amerikanischen Denkfabriken vertraut sind. Das Dänische Institut für internationale Studien mag hervorragende Arbeit leisten, aber wie viele der Bewerter wüssten das auch?“
Viele der gelisteten Think Tanks erstellen selbst Rankings. Die Heritage Foundation etwa den „Index of Economic Freedom“ oder Transparency International als bester deutscher Think Tank den „Corruption Perceptions Index“. Die Korruptionsbekämpfer aus Berlin wären von deutschen Experten wohl kaum als Deutschlands bester Think Tank aufgestellt worden, werden sie hierzulande doch eher als Nichtregierungsorganisation denn als Denkfabrik wahrgenommen.
Ein schönes Ergebnis kann die Studie der Universität Pennsylvania bei aller Kritik dennoch vorweisen: Höchstes Ansehen genießen die unabhängigen akademischen Think Tanks wie Chatham House oder Brookings Institution, die keiner Ideologie anhängen und auch nicht von Regierungen gesteuert werden. Das beste Denken ist also immer noch frei.