Feierabend

von Paul Johnston

Treffen sich zwei. Westen und Islam (Ausgabe II/2009)


Martin Lloyd-Penny, 57, ist ein staatlich geprüfter Bilanzbuchhalter mit 30 Jahren Berufserfahrung. Man sollte ihn für einen gefragten Mann halten. Doch als Lloyd-Penny sich bei mehreren Unternehmen um einen Job bewarb, erhielt er nur Absagen. Noch schockierender war allerdings die Tatsache, dass seine 25-jährige Tochter, die eben ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, von denselben Firmen Zusagen erhielt.

Willkommen im Großbritannien der Altersdiskriminierung: Hier hängt der berufliche Erfolg nicht davon ab, ob man Fachkenntnisse vorweist – entscheidend ist, wie alt man ist. Bei fast zwei Millionen Arbeitslosen können Personalchefs sich die Rosinen aus der Bewerberschar herauspicken: Ältere Menschen gehören nicht dazu.

Die Bewerbungen von Lloyd-Penny und seiner Tochter Tanne waren Teil eines Experiments, das vom britischen TV-Magazin „Dispatches“ durchgeführt wurde. Das Ergebnis bestätigt einen landesweiten Trend: Das Phänomen der Altersdiskriminierung greift auf dem gesamten Arbeitsmarkt um sich. Häufig lehnen Jobvermittlungen oder Arbeitgeber ältere Bewerber sofort ab mit der Begründung, sie seien „zu erfahren“, „überqualifiziert“ oder „nicht mit der Betriebskultur kompatibel“. Gefragt sind stattdessen „dynamische“, sprich „junge“ Mitarbeiter.

Laut der Wohlfahrtsorganisation „Age Concern“, die sich für die Rechte älterer Menschen einsetzt, ist die Benachteiligung aufgrund des Alters die häufigste Form der Diskriminierung: Beinahe jeder Vierte ist Umfragen zufolge schon einmal davon betroffen gewesen. Erhebungen der britischen Regierung zeigen, dass die Zahl der über 50-Jährigen, die seit bis zu sechs Monaten arbeitslos sind, sich in den vergangenen drei Monaten um fast 30 Prozent erhöht hat. Die Chance von arbeitslosen Personen, die über 50 Jahre alt sind, zwei Jahre später wieder eine Stelle zu haben, liegt demnach bei gerade einmal 20 Prozent.

Der Gesetzgeber hat 2006 einen Versuch unternommen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Laut den „Employment Equality (Age) Regulations“ ist es nun rechtswidrig, jemanden wegen seines Alters zu benachteiligen, ganz gleich ob es dabei um Einstellung, Beförderung oder Entlassung geht. Theoretisch sollte dies älteren Arbeitnehmern einen soliden Schutz gewähren, aber es scheint, dass sich viele Firmen über die Bestimmungen hinwegsetzen. Die Zahl der Prozesse wegen Altersdiskriminierung vor dem Arbeitsgericht hat sich seit 2006 mehr als verdreifacht. Doch ein Erfolg vor Gericht ist keineswegs garantiert. Denn das neue Gesetz lässt den Arbeitgebern ein Hintertürchen: Wenn sie „objektiv“ beweisen können, dass es betriebswirtschaftlich stichhaltige Gründe für die Benachteiligung gibt, dann kann diese gestattet werden. Darüber hinaus gilt das Gesetz nicht für Arbeitnehmer über 65 sie verfügen kaum über Rechte, um eine Verlängerung ihres Arbeitslebens durchzusetzen.

Tatsächlich werden sich ältere Arbeitnehmer, selbst wenn sie es ohne Arbeitslosigkeit bis über 50 oder 60 schaffen, schon früh mit der Möglichkeit einer Zwangspensionierung konfrontiert sehen. Seit 2006 können sich Arbeitgeber auf ein Gesetz berufen, das ein Standard-Pensionsalter vorschreibt und es ihnen erlaubt, Mitarbeiter mit 65 Jahren in den Ruhestand zu versetzen, unabhängig davon, ob die Betroffenen dies wünschen.

Obwohl in anderen europäischen Ländern ähnliche Altersgrenzen gelten, hat diese Bestimmung in Großbritannien für sehr viel Unmut gesorgt. Denn viele Pensionäre haben große Mühe, von ihrer Rente zu leben.

Die Fortschritte bei der Gesundheitsfürsorge und die generellen Lebensverhältnisse haben in Großbritannien, wie im übrigen Europa, eine zunehmend alternde Bevölkerung zur Folge. Der Staat muss also einerseits mehr und mehr Rentnern finanzielle Unterstützung gewähren – inklusive der zusätzlichen Kosten für Gesundheits- und Sozialfürsorge – und andererseits auch noch die Belastungen der Volkswirtschaft übernehmen, indem er Arbeiter in den Ruhestand schickt.

Die neuesten Zahlen der Regierung zeigen, dass ältere Menschen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in Großbritannien sind. Im Jahr 2007 gab es im Vereinigten Königreich 9,8 Millionen über 65-Jährige, bis 2032 wird eine Steigerung auf 16,1 Millionen und damit nahezu ein Viertel der Gesamtbevölkerung prognostiziert. Es gibt berechtigte Befürchtungen, dass die jüngeren Arbeitnehmer eines Tages nicht mehr in der Lage sein werden, die Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten, um eine immer älter werdende Bevölkerung finanziell zu unterstützen.

Aus dem Englischen von Aike Jürgensmann



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