Auf unnachahmliche Weise war George W. Bush mit seinem Anliegen erfolgreich, einen „neuen Nahen Osten“ zu schaffen – wenngleich mit einem Ergebnis, das beinahe dem Gegenteil dessen entspricht, was er vorhatte. Der Expräsident der Vereinigten Staaten und seine neokonservativen Berater verfolgten in der Zeit nach dem 11. September einen ehrgezigen, ideologisch motivierten Plan: Sie wollten „Krieg gegen den Terrorismus“ führen, Saddam Husseins Regime stürzen, locker über Demokratie reden und dabei die Freundschaften mit autoritären Verbündeten ausbauen – und auf jede mehr als nur oberflächliche Suche nach politischen Lösungsmöglichkeiten im Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis verzichten.
Letzteres bedeutete, Israel de facto freie Hand zu lassen, seine Politik aus der Zeit nach 1967 im Westjordanland und im Gazastreifen fortzusetzen. Die einsetzende Entfremdung der arabischen Öffentlichkeit und sogar der Regierungen „gemäßigter“ arabischer Staaten ließ etwas in den Köpfen und Herzen der Menschen dieser Gebiete zerbrechen, als Israel am 27. Dezember 2008 seinen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen begann. Der Hunger nach Veränderung, nach Fortschritt, nach Bewegung, nach Würde bildet den Widerhall der Bombardierung des Gazagebiets. Jede Regierung aus der Region spürt die Auswirkungen. Die Mittel, dem Druck der Bevölkerung standzuhalten und ihn umzulenken, scheinen zunehmend abgenutzt.
Man kann den Gaza-Krieg auch im Kontext der Kulmination einer kurzsichtigen Nahostpolitik Amerikas zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehen: den Dingen in Israel-Palästina einfach ihren Lauf lassen, ohne einzugreifen. Aus dieser Nachgiebigkeit gegenüber Israel und der Gleichgültigkeit gegenüber den tief verwurzelten alten Problemen der Palästinenser heraus ist eine neue Situation entstanden, in der sich pro-westliche arabische Staaten in der Region (insbesondere Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien) zu einer härteren Haltung gezwungen fühlen, da sich ihre „Mäßigung“ als wirkungslos erwiesen hat.
Aufgrund der kontraproduktiven Auswirkungen der Ära Bush musste die Hoffnung auf einen friedlichen „neuen Nahen Osten“ begraben werden, stattdessen zeichnet sich ab, was man einen „Nahen Osten des Widerstands“ nennen könnte – eine Region, in der die Gemäßigten geschwächt sind, die Radikalen gestärkt, in der der Anti-Amerikanismus sich verschärft und Palästina als das Kernproblem der Region so virulent ist wie eh und je. [...]
Die Folgen dieser Entwicklung kann man an den diplomatischen Reaktionen auf den Gaza-Angriff ablesen. Länder wie Jordanien, die als wichtige, aber auch kritische Verbündete der USA in der Region gelten, haben die Operationen Israels in einem scharfen Ton kritisiert. Die Verurteilung durch Katar und die Türkei war so heftig, dass man sie in der Tat der syrisch-iranischen „Achse des Widerstands“ zuordnen kann (welche die Hamas und die Hisbollah mit einschließt).
Es stimmt, dass sich diese neue regionale Ad-hoc-Formation, die am 16. Januar 2009 in Doha zu einem Gipfeltreffen von 13 arabischen Staaten sowie der Türkei, dem Iran und Senegal zusammentraf, als kurzlebig erweisen könnte. Fast sicher ist jedoch, dass der vorherrschende regionale Trend hin zu einem Nahen Osten des Widerstands geht. Ein Trend, der auf Dauer das von den USA konstruierte Bild eines „neuen Nahen Ostens“ vollends als Fata Morgana entlarven würde und eine Bedrohung für das traditionelle arabische System wäre, dessen Zentrum die Arabische Liga bildet.
Dies wäre schlecht für das arabische System, für dieses Netzwerk leerer Elite-Diplomatie der Grundsatzerklärungen, dank dessen die arabischen Regimes lange Zeit behaupten konnten, ihre regelmäßigen Gipfeltreffen und gemeinsamen Statements führten zu etwas. Dieses System diente auch dazu, die öffentliche Wut zu absorbieren und zu kanalisieren, indem man etwa den Anschein einer neuen (tatsächlich meistens von Washington bestimmten) „strategischen“ Ausrichtung vermittelte. Zeitweise wurde der Druck so groß, dass das System Risse bekam – so besonders nach dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Sadat in Jerusalem 1977, dem darauffolgenden Friedensvertrag mit Israel und später aufgrund der Irakkriege von 1991 und 2003.
Der Einmarsch im Irak im Jahr 2003 und der folgende Krieg stellten eine hohe Belastung für das arabische System dar die tiefste Krise hat aber wieder einmal das Thema Palästina verursacht. Während des Gaza-Krieges in diesem Winter standen Ägypten und Saudi-Arabien (deren Reaktionen vielen Arabern zu zurückhaltend erschienen oder sogar wie ein stillschweigendes Einverständnis) Syrien, dem Iran, Katar und der Türkei gegenüber (die deutlich gegen Israels Krieg Stellung bezogen). Historisch reagierte das arabische System auf größere Krisen der Region tendenziell in einer Mischung aus lärmender Rhetorik und minimal wirksamen Maßnahmen. Der Anschein von Einigkeit, was den Status Quo betrifft, um den man sich bemühte, war immer ein falscher, eine Art „aufrechterhaltene Brüchigkeit“. Das Positivste, was sich über das System sagen lässt, ist, dass es zumindest überlebt hat, wenn auch zeitweise nur mit viel Mühe, und das arabische Straßentheater im Geschäft gehalten hat.
Die Reaktion des Systems auf den Krieg im Gazastreifen fiel in dieselbe Kategorie minimaler Wirkung bei maximaler Rhetorik. Doch dieses Mal ist der Druck kaum noch auszuhalten. Die immense und fast unwidersprochene Zerstörungswut der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen hat die innere Korrosion des Systems allzu sichtbar werden lassen. Doch noch ein weiterer Faktor kommt ins Spiel – denn die aktuelle Krise unterscheidet sich von früheren Krisen und sogar Beinahe-Zusammenbrüchen des Systems durch das neue geopolitische Umfeld, in dem Mächte wie der Iran und die Türkei eine zentrale Rolle in der regionalen Politik spielen wollen.
In gewisser Weise hat die lange Inaktivität der arabischen Staaten ein Vakuum politischen Engagements verursacht, das jetzt zwei nicht arabische Staaten füllen wollen. Traut man Medienberichten, Kommentaren und Straßendemonstrationen, so begrüßt die Mehrheit der arabischen Öffentlichkeit den Auftritt dieser Staaten. Manche Analysten porträtierten den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan bereits als trotzigen osmanischen Sultan, der sich gegen die Erniedrigung seiner muslimischen Brüder stellt. Der Hinweis auf die einstige Hegemonialmacht legt die Vermutung nahe, dass nur das Thema Palästina und die komplexen historischen Forderungen und nationalen Ambitionen die arabische Öffentlichkeit dazu bewegen konnten, die Türkei und den Iran in ihr Herz zu schließen.
Das Gipfeltreffen in Doha zum Thema Gaza könnte ein wichtiger Schritt in Richtung eines „Nahen Ostens des Widerstands“ werden. Ägypten und Saudi-Arabien sahen das Treffen als offenen Versuch Katars, eine wichtigere, also inakzeptable Rolle als Regionalmacht zu übernehmen. Sie übten Druck auf die anderen arabischen Länder aus und versuchten, sie von der Teilnahme abzuhalten. Doch Katar zog, wütend und enttäuscht, das Treffen durch. [...]
Das Treffen von Katar lässt vermuten, dass arabische Regierungen durchaus prinzipielle Entscheidungen treffen können, die von der Norm abweichen. Sofern sie wollen. Der Beweis dafür ist, dass Katar während der Gaza-Krise eine wichtigere Rolle spielte, als es seine Größe und sein begrenzter Einfluss suggeriert. Die Entscheidungen des Treffens mögen symbolischer Natur sein, doch im Kontext hatten sie durchaus große Wirkung: Man drohte mit der Rücknahme der Unterstützung der arabischen Friedensinitiative vom März 2002 und mit dem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen Katars und Mauretaniens zu Israel.
Die Initiative, auf die man sich beim arabischen Gipfeltreffen in Beirut 2002 geeinigt hatte, bot Israel eine Normalisierung der Beziehungen zu arabischen Ländern im Tausch gegen eine Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Grenzen vor 1967 an. Zwar könnte dies immer noch die Basis für einen Fortschritt sein, doch selbst die arabischen Länder, welche die Initiative am ehesten unterstützen, haben kein Vertrauen in deren Umsetzbarkeit, und das spricht für sich.
Nach diesem Krieg ist die Konsolidierung des Lagers des „Widerstands“ mit neuen Ländern ein Schreckensszenario für Ägypten, Saudi-Arabien und den Westen. Klar wurde das auch beim arabischen Gipfeltreffen in Kuwait am 19. und 20. Januar 2009, bei dem es um wirtschaftliche und soziale Entwicklung gehen sollte, dann aber hastig der Wiederaufbau im Gazastreifen mit auf die Tagesordnung genommen wurde. Ein defensives Riad wurde zu einer Stellungnahme gezwungen, und zwar mit der Drohung, die Zusage zur Initiative von 2002, zu einer Milliarde Dollar für den Wiederaufbau im Gazastreifen und einem Aufruf in Sachen palästinensischer Einheit, zu annullieren.
Der Gaza-Krieg hat das Lager der gemäßigten Araber in die Defensive gedrängt. Ihre letzte Hoffnung ist Barack Obama: Konkret wünscht man sich, dass er und seine Regierung sich als ausgewogener im Umgang mit Israel und der arabischen Welt zeigen, dass man sich auf die arabische Friedensinitiative einlässt und daran beteiligt, dass man Schritte unternimmt, um die Besatzung und Besiedlung der 1967 von Israel eingenommenen Gebiete zu beenden und dass man sich um die Bildung eines unabhängigen Palästinenserstaates bemüht. Sollten sich auch diese Hoffnungen zerschlagen, droht eine weitere Welle der Radikalisierung sowohl staatlicher als auch nicht staatlicher Akteure, die den Nahen Osten auf ihre Art und Weise verändern würde.
Aus dem Englischen von Loel Zwecker. Dieser Artikel erschien auf www.opendemocracy.net (27.1.2009). Der gekürzte Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung.