Frau Joumana Haddad, welche Entwicklungen gibt es derzeit bei arabischen Autorinnen?
Ich denke, dass die arabische Literatur im Augenblick die Geburt einer großen Anzahl an interessanten Frauenstimmen durchlebt, insbesondere in den Genres Belletristik und Poesie. Ich glaube, die arabischen Frauen spüren, dass die Zeit gekommen ist, in der sie sich ausdrücken können, und anfangen, ihre Kreativität außerhalb des patriarchalischen Systems, das viele unserer Gesellschaften beherrscht, auszuleben. Natürlich gibt es noch viele Tabus, aber ich bin voller Hoffnung, dass diese im Laufe der Zeit gebrochen werden.
Welche Tabus meinen Sie?
Es gibt das Dreieck der Tabus in der arabischen Welt: Religion – Politik – Sexualität. Natürlich ist das Tabu der Religion das am meisten gefürchtete. Aber ich bin überzeugt, dass alle drei miteinander verbunden sind. Wenn wir eines erst einmal überwunden haben, wird es leichter, die beiden anderen zu überwinden. Schon jetzt widmen sich viele arabische Autorinnen dem Thema Sexualität, ohne Angst vor Zensur. So wie Alawiya Soboh, Hanane el Sheikh und Ahlam Mustaghanmi. Dazu muss man aber sagen, dass diese Autorinnen in Beirut veröffentlichen, wo man vor der Drucklegung keine Genehmigung durch ein Zensurkomittee braucht. In anderen arabischen Ländern ist die Zensur eine starke Erniedrigung für einen Schriftsteller. Wir müssen die Zensur vollkommen besiegen.
Haben Sie eine Art Selbstzensur?
Was mich betrifft, so ist mein innerer Zensor mein größter Feind. Ich weiß, dass ich dickköpfig genug bin, äußere Zensur nicht zu akzeptieren, aber der innere Zensor ist wie eine Zeitbombe, die ich in mir trage. Wenn ich schreibe, versuche ich, mir diesen Zensor, begründet in meiner Erziehung, immer wieder vor Augen zu führen. Man hat uns Frauen klare Verhaltensregeln antrainiert: die Existenz des Körpers und seine Bedürfnisse im Alltag zu verneinen. Alle Autorinnen, besonders die, die in Regionen leben, in denen diese engmaschigen Tabus funktionieren, haben dieses Problem. Es ist wie ein Krebsgeschwür, das uns von innen heraus auffressen will.
Ist dies einer der Gründe, warum Sie Ihr Kulturmagazin Jasad, das sich speziell mit der Kunst und der Literatur rund um den Körper beschäftigt, ins Leben gerufen haben?
Ja, dieses Tabu zu brechen ist tatsächlich eines der Hauptmotive, die ich mit dem Magazin verfolge. Der Körper ist ein wichtiger Teil auch unseres kulturellen Erbes, aber heutzutage ist er etwas, das wir verstecken sollen, für das wir uns schämen sollen. Natürlich stehe ich vor vielen Herausforderungen, da dieses Magazin gegen den Mainstream unserer Gesellschaft läuft.
Gibt es neue Richtungen in diesem Diskurs, neue Akteure und neue Themen?
Nun, ich denke immer, dass wir Schriftsteller auch, wenn wir über „alte“ Themen wie Liebe und Tod sprechen, dies immer auf eine neue Art versuchen. Dazu modernisieren wir die Sprache, wir sind freier dabei, unsere Ideen auszudrücken. Die Freiheit beginnt im Kopf.
Sie sind selbst eine bekannte Schriftstellerin. Wie sehen Sie Ihren Einfluss auf die jüngere Generation?
Über meinen Einfluss kann ich nichts sagen, ich weiß aber, dass ich der neuen Generation arabischer Schriftsteller angehöre, die versuchen, etwas anderes zu produzieren. Ich sehe mich als Teil der internationalen Literaturszene. Ich glaube nicht an die Literatur als geschlossene Gesellschaft, wir müssen offen sein und mit den anderen Künsten kommunizieren. Diese Offenheit produziert Mischformen, und die sind ein Zugewinn für jede Kultur.
Schreiben Sie derzeit an einem neuen Werk?
Das, was mich 2009 schreiben lässt, ist das Gleiche wie das, was mich schon immer schreiben ließ: die Tatsache, dass ich Worte benutzen kann, um meine Freiheit auszudrücken, dass ich versuchen kann, meine Seele zu finden, meine unbekannten Stimmen, all die verschiedenen Personen, die in mir leben. Mir war es immer wichtig, meine Stimme als Frau aus diesem Teil der Welt verlauten zu lassen. Ich schreibe gerade an meinem Buch „Kollateralschaden“, in dem ich das Leben von Frauen erkunde, die ich nur flüchtig getroffen habe, die aber mein Leben irgendwie berührt haben.
Das Gespräch führte Jasna Zajček