„Metal hat mich gerettet“

Interview mit Freddy Lim

Ein bisschen Frieden (Ausgabe II+III/2023)

  • Freddy Lim bei einem Auftritt mit seiner Extreme-Metal-Band „Chthonic“. Foto: Nicolas Datiche / Getty Images

  • Freddy Lim spricht als Abgeordneter im taiwanischen Parlament. Foto: Freddy Lim


Herr Lim, Sie sind der Sänger und Songschreiber der Metal-Band Chthonic – und Sie sind Mitglied des taiwanischen Parlaments. Wie passt das zusammen?

Ich würde sagen, ich bin ein Musiker, der politisch engagiert ist. Meine Leidenschaft für Metal habe ich als Teenager entdeckt. Damals hatte ich ein kompliziertes Verhältnis zu meiner Familie – und Metal hat mich gerettet. Wenn gar nichts mehr ging, habe ich mich in mein Zimmer eingeschlossen, die Musik aufgedreht und geschrien.

Während der Schulzeit habe ich in Bands gespielt und 1995 dann Chthonic gegründet. Auch heute noch ist die Musik mein Ventil für Gefühle. Mein Leben als Politiker begann erst viel später. In den 2000er-Jahren habe ich angefangen, mich für Menschenrechte einzusetzen, und kandidierte 2010 für den Vorsitz von Amnesty International Taiwan.

Die Sonnenblumen-Proteste im Frühjahr 2014 habe ich von Anfang an unterstützt. Um für einen politischen Wandel zu sorgen, wollte ich einige der jungen Aktivistinnen und Aktivisten überzeugen, für das Parlament zu kandidieren – aber die meisten von ihnen haben damals noch studiert, sie konnten nicht einfach ihr ganzes Leben umkrempeln.

Ich war zu dem Zeitpunkt schon Ende dreißig und dachte: Ich gehe voran, kandidiere für das Parlament und baue eine Brücke für die jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie man eine politische Kampagne führt.

Also haben wir das gemeinsam gelernt. 2015 haben wir die New-Power-Partei gegründet und 2016 bin ich dann als Abgeordneter in das Parlament eingezogen.

Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem politischen Leben?

Es ist sehr frustrierend, wenn wichtige politische Entscheidungen scheitern oder viel länger dauern als erwartet. Zu Beginn meiner politischen Karriere hat mir das sehr zu schaffen gemacht. In solchen Situationen schreibe ich Songs – das hilft.

Durch meine Musik bin ich ausgeglichener. Ich weiß gar nicht, wie meine Kolleginnen und Kollegen in der Politik es ohne ein solches Ventil aushalten. Ohne Musik würde ich wahrscheinlich explodieren! (lacht)

„Die taiwanische Musik selbst ist vor allem divers“

Sie haben für uns eine Playlist mit zehn Songs zusammengestellt, die Ihren Sound Taiwans zusammenfassen. Was ist besonders an taiwanischer Musik?

In Ostasien werden die meisten Länder immer noch von konservativen autoritären Regimen regiert. Das hat große Auswirkungen auf die Kultur, etwa in Form von Zensur oder von politischen Konsequenzen, wenn man kritische Texte schreibt. In Taiwan ist die Musikszene völlig frei und sehr vielfältig.

Darum kommen viele Musikerinnen und Musiker aus Hongkong, Tibet oder anderen politisch unter Druck stehenden Ländern hierher, um ihre Musik zu produzieren. Die taiwanische Musik selbst ist vor allem divers. Wer sich auskennt, kann Einflüsse aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt erkennen.

In meiner Playlist habe ich versucht, diese Vielfalt an Stilen und Themen einzufangen.

Das Interview führte Gundula Haage. Die Playlist gibt es hier



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