Schlagzeilen zum Thema Taiwan klingen derzeit oft so: „Chinas Militärmanöver“, „Angst vor der Invasion“, „Droht der dritte Weltkrieg?“. Das mag daran liegen, dass die Lage des Inselstaats, so wie es sein diplomatischer Vertreter Shieh Jhy-Wey im Interview betont, tatsächlich „beängstigend“ ist.
Vielleicht sind derartige Titelzeilen jedoch auch Ausdruck eines Zustands, den der Journalist Mohamed Amjahid in dieser Ausgabe an anderer Stelle kritisiert. Nämlich, dass viele deutsche Redaktionen meinen, ihre Leserschaft nur dann für Themen jenseits Europas begeistern zu können, wenn sie ihre Betroffenheit oder gar Angst aktivieren.
„Die Lage des Inselstaats ist tatsächlich beängstigend. Doch wir sollten Taiwan nicht nur durch die Linse unserer Beziehungen zu China sehen“
Auch unsere Redaktion ist da nicht ganz unschuldig, haben wir diese Ausgabe doch mit den Worten „Ein bisschen Frieden” überschrieben. Einem Titel, der zwar vor allem auf das Innenleben der taiwanischen Gesellschaft abzielen soll, jedoch selbst nicht ohne die Anspielung auf eine chinesische Invasion auskommt. Und es wäre ja auch fahrlässig, diese Drohkulisse einfach auszublenden.
Speziell dann, wenn uns die Reporterin Ho Hui-An berichtet, dass sich Taiwan bereits „mitten in einem Informationskrieg“ mit China befindet, und uns die Aktivistin Hsi Jui-Ting verrät, dass in Taipeh der (wohl nur halb scherzhaft gemeinte) Spruch kursiert: „Ich habe eine Hütte in den Bergen – lasst uns alle dorthin gehen, wenn die Chinesen kommen.“
„Die Schriftstellerin Li Ang attestiert ihrem Land trotz aller demokratischen Errungenschaften weiterhin eine tiefe Spaltung“
Trotzdem wollen wir mit diesem Länderschwerpunkt jene Falle meiden, vor der Taiwan-Experte Marcin Jerzewski warnt, wenn er empfiehlt den Inselstaat „nicht nur durch die Linse unserer Beziehungen zu China zu sehen“. Und gerade deshalb lassen wir auf den folgenden Seiten vor allem Taiwanerinnen und Taiwaner selbst zu Wort kommen, um uns ihre Heimat näherzubringen.
Die Autorin Hsuan zum Beispiel, die durch die Nacht von Taipeh zieht und erklärt, dass „der Himmel hier weiter ist als im übrigen Taiwan“; den Metal-Musiker und Politiker Freddy Lim, der den Klang Taiwans für uns in einem Soundtrack eingefangen hat; den Fotografen H. C. Kwok, der den Verbrechen des Diktators Chiang Kai-Shek nachspürt, der seinen Schatten auch heute noch auf die Inselrepublik wirft; und die Schriftstellerin Li Ang, die ihrem Land trotz aller demokratischen Errungenschaften weiterhin eine „tiefe Spaltung“ attestiert. Eine Spaltung, die sich auch darin zeigt, dass sich in Taiwans Politik zwei große Volksparteien, die Kuomintang (KMT) und die Demokratische Fortschrittspartei (DFP), unerbittlich gegenüberstehen.
„Die Autorin Hsuan zieht mit uns durch die Clubs von Taipeh“
Warum sollten wir uns in Deutschland – auch abseits der schwelenden Bedrohung durch China – mit Taiwan befassen? Was bewegt die Menschen dort wirklich? Auf diese Fragen finden Sie hier viele bereichernde Antworten.
Und sollten Sie am Ende doch noch etwas Neues über die taiwanisch-chinesischen Beziehungen lesen wollen, dann lege ich Ihnen den bewegenden Briefwechsel zwischen dem taiwanischen Schriftsteller Wu Ming-Yi in Taipeh und dem chinesischen Autor Yan Lianke in Peking ans Herz. Die Lektüre kann nachdenklich stimmen – und Hoffnung machen.
Unsere Ausgabe „Ein bißchen Frieden. Stimmen aus Taiwan“ erscheint am 1. Juni 2023