Blühendes Gift

Angst vor Frauen (Ausgabe IV/2022)

-

Ein Bauer erntet Opium-Pflanzensaft in einem Mohnfeld im Darra-i-Nur-Distrikt der Provinz Nangarhar (2020) Foto: Noorulla Shirzada / AFP / Getty Images


Afghanistan und das Opium – seit rund fünfzig Jahren spielt die Droge eine zentrale Rolle in der Wirtschaft des Landes. Gute Anbaubedingungen und hohe Rendite machten Schlafmohn zunächst einmal zum attraktiven landwirtschaftlichen Produkt für die arme Landbevölkerung, vor allem in den Provinzen Badachschan und Helmand.

In den 1970er-Jahren nahm die kommerzielle, auf den Export ausgelegte Produktion Fahrt auf: Anbauverbote für Schlafmohn in Ländern wie Türkei, Iran und Pakistan sorgten für eine Lücke im Weltmarkt. Gesetzliche Kontrollen bestanden in Afghanistan zu dieser Zeit kaum, so stieg das Land schnell zum wichtigsten Opiumproduzenten auf.

Auch die Mudschaheddin, verschiedene Warlords und später die Taliban finanzierten sich durch Drogengeschäfte. Mittlerweile werden 85 Prozent des weltweiten Opiums in Afghanistan produziert. Rund 6.800 Tonnen waren es im Jahr 2021, woraus bis zu 320 Tonnen pures Heroin hergestellt werden konnten. 177.000 Hektar Land werden derzeit mit Schlafmohn bebaut.

„Der Gewinn aus dem Opiumgeschäft macht mehr als die Hälfte der afghanischen Wirtschaftsleistung aus“

Rund 500.000 Mohnbauern und 15.000 Händler erwirtschafteten im Jahr 2019 mit Opium ihren Lebensunterhalt. Der Gewinn aus dem Opiumgeschäft macht aktuell mehr als die Hälfte der ohnehin stark gesunkenen afghanischen Wirtschaftsleistung aus.

Die Droge droht, das Land zu zerreißen: In vielen Regionen ist die Industrie rund um den Schlafmohn die einzige Verdienstmöglichkeit – und ein risikoreicher Geschäftszweig, der mit enormer Begleitkriminalität einhergeht. Denn die Profite streichen größtenteils Drogenbosse und korrupte Beamte ein.

Insbesondere Mädchen und Frauen sind häufig Leidtragende einer menschenverachtenden Industrie, etwa wenn sie von ihrer Familie, meist Kleinbauern, die sich verschuldet haben, als „Opiumbräute“ verkauft werden, um Gläubiger bezahlen zu können.

„Zehn Prozent der Afghaninnen und Afghanen sind opiatsüchtig“

Und nicht alles Opium wird für den Weltmarkt produziert: Laut Schätzungen der Vereinten Nationen sind rund 4,6 Millionen Menschen im Land selbst opiatsüchtig, was mehr als zehn Prozent der Bevölkerung entspricht.

Die Taliban wiederum gelten sowohl als Profiteure wie auch als erbitterte Feinde des Opiumhandels. Im Jahr 2022 wurde der Anbau von Schlafmohn offiziell verboten. Inwieweit dieses Verbot durchgesetzt wird und was dies für all die Menschen bedeutet, die von der Industrie abhängig sind, muss sich noch zeigen.

Zusammengestellt von Gundula Haage
Mitarbeit: Justus Tamm



Ähnliche Artikel

Vom Sterben. Ein Heft über Leben und Tod (Weltreport)

„Wie viel Angst hält man aus?“

ein Interview mit Liao Yiwu, Hertha Müller

Die beiden Schriftsteller wurden in ihrer Heimat vom Staat verfolgt. Ein Gespräch über Verzweiflung und Momente des Trosts          

mehr


Frauen, wie geht's? (Thema: Frauen)

Das letzte Tabu

von Kaj Björkqvist

Neue Wahrheiten: Jeder fünfte Kindermissbrauch wird von einer Frau begangen

mehr


Eine Geschichte geht um die Welt (Praxis)

In eigenen Händen

von Leonie Düngefeld

Die NGO Ketaaketi geht neue Wege in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie setzt auf Autonomie und Eigeninitiative der Menschen in den Partnerländern

mehr


Beweg dich. Ein Heft über Sport (Thema: Sport)

„Ich musste bei den Jungs mithupf’n“

ein Interview mit Daniela Iraschko-Stolz

Eine letzte Domäne des Männersports fällt: Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi treten zum ersten Mal auch Frauen beim Skispringen an. Ein Gespräch mit der Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz

mehr


Menschen von morgen (Thema: Jugendliche)

Überfälle mit Säure

von Koherin Farchana

Koherin Farchanaz berichtet, wovor Mädchen und Frauen in Bangladesch Angst haben und warum sie selbst einen Boxsack besitzt

mehr


Russland (Thema: Russland )

„Die Russen haben vergessen, wie man ein Regime stürzt“

ein Interview mit Orlando Figes

Eine Geschichte der Angst: Der britische Historiker erklärt den Kreislauf aus staatlicher Gewalt und Obrigkeitsdenken

mehr