1001 Sprache

von Stephanie von Hayek

Geht uns das Wasser aus? (Ausgabe III/2022)

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Aus einem mehrsprachigen Bilderbuch: Der Löwe mit rotem Schal wollte schon immer nach Hawaii. Illustration: bilingual-picturebooks


Wenn es zweisprachige Kinderbücher gibt, dann meistens nur in den Sprachen Englisch, Französisch, vielleicht Italienisch. Kleinere Sprachen finden kaum Berücksichtigung“, sagt die Übersetzerin Sandra Israel-Niang, die das Bilderbuch „Die Ameisenbücherei“ mit Kindern entwickelt und ins Jiddische übertragen hat. Etwa ein bis 1,5 Millionen Menschen weltweit sprechen Jiddisch, genaue Zahlen gibt es nicht.

„Die Ameisenbücherei“ ist Teil des Projektes „bilingual-picturebooks“, einer Internet-Plattform, die Kinderbücher gratis zum Herunterladen anbietet. So soll Kindern, Eltern und Großeltern das Lesen und Vorlesen in der eigenen Sprache ermöglicht werden. Unlängst ist als 77. Sprache Sarnami dazugekommen, die nur 250.000 Menschen in Suriname in Südamerika sprechen: „Das Ei im Mond“ lautet der Titel des ersten Bilderbuches auf Sarnami überhaupt. Sandra Israel-Niang, eine der vielen ehrenamtlich Engagierten bei bilingual-picturebooks, betont, wie wichtig diese Publikationen sind: „Der Sitz der Emotionen ist die Muttersprache.“

„Mit der Muttersprache werden auch Werte verknüpft, die Eltern ihren Kindern mitgeben wollen“

Oft sind Bilderbücher in der Muttersprache jedoch nicht erhältlich, schon gar nicht in zwei Sprachen. Geflüchtete etwa aus dem Irak können nicht in ihr Heimatland zurückkehren, um Bücher zu kaufen. Wenn dann auf Deutsch vorgelesen wird, ist das nicht nur mühsam, sagt Christine Sturm, Projektleiterin der Plattform, „es bleibt ein fremdes Gefühl“. Mit der Muttersprache werden auch Werte verknüpft, die Eltern ihren Kindern mitgeben wollen. Im Moment bietet bilingual-picturebooks 32 Bilderbücher in 77 Sprachen und Dialekten, die inzwischen in 850 Sprachkombinationen 50.000-mal heruntergeladen wurden. 1001 Sprache ist das große Ziel.

Bilingual-picturebooks – 1001 Sprache ist ein Projekt der Bücherpiraten, eines gemeinnützigen Vereins aus Lübeck, der sich zum Ziel gesetzt hat, Kinder an das Lesen und die Literatur heranzuführen. Die Geschichten der Bilderbücher werden in Workshops mit Kindern gemeinsam entwickelt und umfassen Themen von Träumen bis hin zur UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung, um die es in „Wie sieht eigentlich die Zukunft aus?“ geht.

Die Idee für das Projekt entstand 2012 auf dem Netzwerktreffen International Board on Books for Young People (IBBY) in London. Den Projektstart bildete ein Jahr später der „Schokokuchen auf Hawaii“, das die Bilderbuchkünstlerinnen und -Künstler Kirsten Boie, Martin Gries und Birte Müller mit Förderung der Dräger-Stiftung mit zehn Kindern entwickelten. Neben den sechs Basissprachen Arabisch, Englisch, Französisch, Mandarin, Russisch und Spanisch bekommt man das Buch auch auf Ungarisch, Schottisch, Friesisch oder Kurmandschi und vielen weiteren Sprachen. Die Übertragung der Bilderbücher übernehmen zumeist ehrenamtliche Übersetzerinnen, auch Eltern.

Für Geflüchtete aus der Ukraine haben die Bücherpiraten gemeinsam mit der Possehl-Stiftung 10.000 Bilderbücher auf Ukrainisch und Deutsch drucken lassen. Sie werden in Schleswig-Holstein über Bibliotheken kostenlos an Geflüchtete, Lehrer und Hilfsorganisationen verteilt.

Finanziert wird bilingual-picturebooks über Stiftungen und Spenden. Manche Geschichten werden auch als Hörbuch eingesprochen, den „Schokokuchen“ etwa kann man inzwischen in sieben Sprachen hören.

www.bilingual-picturebooks.org



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