Fordern ohne fördern äfft nur die heutigen globalen, ökonomisch organisierten und marktwirtschaftlich ideologisierten Machtstrategien nach. Wenn sich Lehrer bloß symbolisch zuwenden, ohne materiell-nachdrücklich bei Entwicklung und Kompetenzsteigerung zu helfen, bringt dieser Ansatz zwar Form, aber keinen Inhalt. Es entstehen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern, die ohne Kraft, ohne Leistung sind und folglich bald erschlaffen.
In manchen Stadtteilen wie Dortmund-Nord oder Hamm-West, die wir ebenso schön wie peinlich „soziale Brennpunkte“ nennen, versuchen Initiativen aus Lehrern, Schülern, Eltern, Gemeinden, Stadt, Land und Europäischer Union, das Dilemma acht- bis achtzehnjähriger Migrantenkinder, die noch keine sprachliche Frühsozialisation erfahren haben, zu bewältigen. Kurz: Sie fördern.
Die Lösungen gehen in drei Richtungen. Die erste betrifft die Sprache. Genauer die „Zwischensprache“, die viele Jugendliche mit Migrationshintergrund sprechen. Diese ist durchaus poetisch („Hey, voll krass, Alte!“), wird allerdings nicht von den Bildungs- und Wirtschaftsinstitutionen akzeptiert. Diese würden lieber hören: „Sie sehen heute aber sehr adrett aus, Frau Müller!“ Von Jugendlichen muss also nachdrücklich gefordert werden, dass sie besser zwischen ihrer „Kanaksprak“ und der deutschen Sprache hin- und herpendeln. Da die Jugendlichen nicht von einer entwickelten türkischen Muttersprache zur deutschen Zweitsprache, sondern von einer zur anderen Halbsprache übergehen, sind angepasste interlinguale Trainings- und Crashkurse nötig, die genau diesen Wechsel zwischen zwei Halbsprachen vermitteln.
Die zweite Lösung betrifft die „Mischung“ der Schüler. Die Migrantenkinder müssen aus ihren Ghettos herausgeholt und in durchschnittliche, bislang monolinguale und monokulturelle „deutsche“ Realschulen und Gymnasien geschickt werden. Mit vielen einheimischen Schülern können sie dort viel eher ihre brachliegenden Potenziale entfalten. Zumindest in den Städten ist dies möglich. Es wird sogar – man halte sich fest! – von den Realschulen und Gymnasien in Dortmund-Nord und Hamm-West ausdrücklich begrüßt – und oft mit dem Versprechen garniert, besondere Förderkurse am Nachmittag zu organisieren. Ein Grund dafür ist allerdings, dass etliche Schulen sonst durch den absehbaren Rückgang der Anzahl deutscher Schüler bald schließen müssten.
Eine dritte Lösung bezieht sich auf die Schüler, die zu oft und zu früh als „hoffnungslos“ und „perspektivlos“ abgeschrieben werden. Ein Vorschlag, der kurz vor seiner Durchführung und Finanzierung steht, heißt schlicht: „Akademie für neue Deutsche“ oder „Akademie für junge Migranten“. Er wurde von einer Konferenz der „Schulplaninitiative Nordstadt“ erarbeitet, die sich aus Schülern und Lehrern, Schule und Stadt sowie Land und EU zusammensetzt. In diesen Akademien wollen die Lehrer einen strikt organisierten Lehrbetrieb durchführen, der nicht nur nach Geschlechtern trennt, sondern auch den unterschiedlichen sozialen Hintergrund und die jeweilige Leistung von Schülern und Lehrern im Auge behält. Während außerhalb des Unterrichts – im Berufsunterricht sowie in den Projekten und Arbeitsgruppen – Lehrer und Schüler ausgesprochen partnerschaftliche Beziehungen zueinander unterhalten, wird im Unterricht jedes abweichende Lernverhalten strikt sanktioniert und auf jede ungenügende Leistung prompt reagiert: etwa mit Hilfe von „Trainingsräumen“, wo ein Team von Sozialpädagogen und Fachlehrern den Lernstoff mit den Schülern nacharbeitet. Es wird sogar von der dortigen Stadtverwaltung überlegt, die Auszahlung des Kindergeldes teilweise von der aktiven Mitarbeit der Schüler und der Eltern abhängig zu machen.
Manchen mögen diese Maßnahmen zu radikal erscheinen. Aber sie sind in Teilen oder als Ganzes in ausländischen und deutschen Landen (Hamburg-Wilhelmsburg, Schweden, Lyon) erprobt und bewährt. Und sie erzählen von einer Lehrerschaft, die endlich für die professionelle Qualität ihres Berufes (Diagnose und effiziente Lernhilfe) einsteht und haftet. Das heißt: Lehrer können für Erfolg oder Misserfolg ihres Unterrichts verantwortlich gemacht werden. Die alte nationalstaatliche Schule spulte ihre Lehrgänge mit Routine und kultureller Einfalt ab. Eine interkulturell geöffnete Schule muss dagegen einen doppelten Anspruch haben: Erstens soll sie dafür, wie sie fördert und fordert, mithaftbar sein. Sie muss zweitens die wachsende Komplexität der Schulwelt mit konkreten Perspektiven verbinden. Nur Heranwachsende, die fachliches Wissen gekoppelt an ihre eigenen Fragen nach Freundschaft, Liebe, Attraktivität, Erfolg, Geschlechter- und Berufsrollenverhältnisse vermittelt bekommen, werden sich selbst als bedeutsam wahrnehmen und bereit sein, in Schularbeit zu investieren.