Ein Beamer aus einem Schuhkarton

von Leonie Düngefeld

Selbermachen (Ausgabe IV/2021)

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Im abgedunkelten Büro der Kulturaustausch-Redaktion erkannte man tatsächlich ein Bild an der Wand. Foto: Daniel Seiffert


Ein lustiges Projekt soll das werden, so klingt es in der Redaktionskonferenz: Die Redaktion bastelt! Einen Filmprojektor aus einem Schuhkarton wollen wir herstellen, einen Beamer, der Videos von einem Smartphone durch eine Lupe an die Wand projiziert. Ein simples und praktisches Do-it-yourself-Projekt, heißt es. Am Ende bleibt diese Aufgabe natürlich an mir hängen, der Volontärin. „Die Dinger funktionieren doch nicht mal, wenn man sie im Elektroladen kauft“, denke ich. Und erinnere mich an das Resultat meines letzten Versuchs, etwas selbst herzustellen: eine Kerze, die nicht brannte. Aber ich bin Optimistin. Basteln, fotografieren, fertig – so schwierig wird das ja nicht sein. Erster Schritt: die Materialbeschaffung. Schuhkartons finde ich in der Rumpelkammer meiner WG, unsere Englisch-Redakteurin Jess Smee steuert zwei Lupen bei. „Easy“, sage ich und transportiere gleich drei Schuhkartons in die Redaktion. Zwei als Reserve. 

„Das können wir vergessen“, begrüßt mich unser Bildredakteur Daniel Seiffert, der das Projekt fotografieren soll, als er die Kartons und die Lupen sieht. „Das wird nichts.“ Kollege Timo Berger aus dem Nachbarbüro steuert ein hämisches Lachen bei. Auf meine Kollegen kann ich in dieser Sache also nicht zählen. Mich packt der Ehrgeiz. Ich lese noch mal mehrere Anleitungen im Internet. „Verwandelt euer Zimmer in ein richtiges Kino – so leicht geht’s“, steht in einer Anleitung für Kinder. Na bitte, ein Kinderspiel.

Nächster Schritt: Basteln. Ein Loch muss in die Wand des Kartons, damit die Lupe hineinpasst. Das Smartphone muss im Innern des Kartons befestigt werden. Aber wie schneidet man einen Kreis aus, ohne dass die Ränder voller Pappfransen sind? Die Schere in der Redaktion taugt höchstens für das Öffnen von Briefumschlägen, und mit dem Cutter schneide ich mir in den Zeigefinger. Eine Nagelschere würde helfen, doch die hat natürlich niemand dabei. Schließlich gelingt mir ein nicht besonders schöner Kreis mit dem Cutter. Geht doch, die Lupe hält und mein Handy klebt kopfüber an einer Pappwand im Karton. Siegessicher begebe ich mich mit dem Wunderprojektor an den mutmaßlich dunkelsten Ort der Redaktion: das Bad. Ich suche ein geeignetes Foto auf dem Handy und stelle die Ausrichtungssperre ein. Es scheint noch Licht durch einen Spalt über der Tür, doch für einen Testlauf wird das reichen. Ich richte den Karton mit der Lupe auf die weiß geflieste Wand und suche nach dem Bild … nichts. 

„Daniel balanciert auf einem Stuhl und versucht, die Jalousien herunterzulassen, ohne die Blumentöpfe von der Fensterbank zu stoßen. Ich glaube, er hat mittlerweile eine winzige Hoffnung, dass dies nicht das katastrophalste Projekt seiner gesamten Fotografenkarriere ist“

Was für eine blödsinnige Idee, wer bastelt sich schon einen Beamer selbst? „Vielleicht war die Anleitung ein Aprilscherz“, sagt Kollege Berger. Ich vergewissere mich noch mal bei allen Projektor-Bastlern, die ich im Internet finden kann: Ihnen gelingt ein einwandfreies Bild auf der Wand! 

Daniel und ich versuchen es nun mit einem Kameraobjektiv, das wir im Schrank finden. Mit der Linse nach innen soll man es durch das Loch im Karton stecken. Und tatsächlich: Mit viel Fantasie erkennt man das zufällig ausgewählte Foto einer Häuserfassade auf der Wand. Wenn bloß der Spalt über der Tür nicht wäre, es ist noch zu hell. „Hier können wir alles abdunkeln!“, ruft Daniel aus dem Büro der Chefredakteurin. Er balanciert auf einem Stuhl und versucht, die Jalousien herunterzulassen, ohne die Blumentöpfe von der Fensterbank zu stoßen. Ich glaube, er hat mittlerweile eine winzige Hoffnung, dass dies nicht das katastrophalste Projekt seiner gesamten Fotografenkarriere ist. 

In der dunkelsten Ecke des Raums gelingt uns schließlich ein einigermaßen scharfes Bild. Wir versuchen es mit einem Video von Schäfchenwolken, aber etwas mehr Farbe wäre schöner. Ich finde ein Foto von bunten Donuts auf meinem Handy. Ihre Umrisse erscheinen auf der Wand. Selbst der eben noch spottende Kollege gesellt sich nun in den frisch eröffneten Redaktions-Filmpalast. Seine Augen leuchten hinter der schiefen Brille, als er endlich das flackernde Bild des Donuts erkennt. „Leonie, das ist großes Kino!“, sagt er.



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