Die leere Brotdose

von Susanna Krüger

Jäger und Gejagte (Ausgabe II/2021)


    Frau Krüger, was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts »State of School Feeding Worldwide«, der vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen herausgegeben wurde?

    Positiv ist, dass Anfang 2020 so viele Kinder wie nie zuvor Zugang zu Schulspeisung hatten. Der Bericht zeigt aber leider auch, dass die Corona-Pandemie viele dieser Fortschritte wieder zunichtegemacht hat. Schule hat mehr Funktionen als die Vermittlung von Bildung. Sie ist Teil eines Sicherheitsnetzes. Kostenloses Schulessen unterstützt die gesunde Entwicklung von Kindern. Schon bei der Gründung unserer Hilfsorganisation Save the Children im Jahr 1919 haben wir Schulspeisungen organisiert, und zwar für Kinder in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. 

    Warum ist die Schulverpflegung so wichtig?

    Schulessen ist für Eltern ein zusätzlicher Anreiz, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Manchmal kommen Kinder nur deswegen. Deshalb erreicht man Kinder aus armen Familien in Schulen oft am besten. Doch durch die Schulschließungen im Zuge der Pandemie sind im vergangenen Jahr rund 1,6 Milliarden Kinder nicht zur Schule gegangen. Viele dürften die Schule inzwischen abgebrochen haben. Aus der Ebolakrise in Sierra Leone 2014 wissen wir, dass nach zehn Monaten Schulschließung der überwiegende Teil der Mädchen nicht mehr in die Schule zurückgekehrt ist. Ursachen dafür waren Frühverheiratungen, Schwangerschaften oder auch Kinderarbeit. Ganz aktuell sieht man am Beispiel der USA, wie wichtig Schulspeisungen sind. Seit die Schulen dort geschlossen sind, hat sich der Gesundheitszustand der Kinder massiv verschlechtert. Ohne Hilfsorganisationen wäre die Versorgungssituation der Kinder noch schwieriger. NGOs schließen diese Lücke und sind immer häufiger für die Essensversorgung zuständig, oft allerdings auf Kosten von eigenen Bildungsangeboten. 

    Wie wirkt sich die Pandemie auf Kinder in besonders prekären Verhältnissen aus?

    Verheerend. Der Bericht spiegelt wider, dass Familien Schwierigkeiten haben, ausreichend und gesundes Essen auf den Tisch zu bekommen. Das belegen auch unsere Studien. In Indien haben wir mittels einer Umfrage unter armen Haushalten erhoben, wie sich deren Versorgungssituation darstellt: 85 Prozent gaben an, sich keine Nahrungsmittel mehr leisten zu können. Viele Menschen haben in der Pandemie ihre Arbeit verloren und können deshalb ihre Kinder nicht mehr versorgen. Aber Mangelernährung hat Langzeitauswirkungen. Die Folgeerscheinungen lassen sich nicht einfach so wieder beheben. Hunger führt zu Wachstumsstörungen und Entwicklungsverzögerung. Kinder aus armen Haushalten sind davon doppelt so häufig betroffen wie Kinder aus reichen Haushalten. Dies gilt für alle Länder auf der Welt.

    Das »State of School Feeding Worldwide 2020« des World Food Programme findet sich unter:
    www.wfp.org/publications/state-school-feeding-worldwide-2020



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