Würde man versuchen, kein einziges Tabu zu brechen, das irgendwo auf der Welt existiert – man würde gar nicht mehr zum Leben kommen: In Ghana soll man beim Baden nicht singen, in Madagaskar kein Schweinefleisch am Strand essen und in Sierra Leone nicht mit Menschen über ihr Alter sprechen. Oft ist dort nicht einmal in Liebesbeziehungen bekannt, wie alt die Partnerin oder der Partner ist. All dies sind kulturelle Tabus, Regeln, die sich Gesellschaften selbst gegeben haben. Oft sind sie vor langer Zeit aus religiösen Erzählungen oder aus Aberglauben entstanden.
Manche Tabus sind universell, etwa das überall auf der Welt geltende Gebot „Du sollst nicht töten“ oder das Inzesttabu. „Es gibt keine einzige Kultur, die den Inzest nicht verbietet“, erklärt die französische Psychoanalytikerin und Ärztin Caroline Eliacheff, „trotzdem ist es nicht gelungen, ihn zum Verschwinden zu bringen.“ Uns beschäftigen in dieser Ausgabe große und kleine Tabus, jene, die überall verstanden werden, und jene, die kulturell spezifisch sind.
Und wir fragen danach, wie sie entstehen: Die Verbindung von Macht und Verbot bildet den Kern eines Tabu, sagt der amerikanische Anthropologe Manvir Singh, und dass Tabus oft mit Loyalität zu tun haben. Um sich der Solidarität innerhalb einer Gruppe zu versichern, befolgen ihre Mitglieder vereinbarte Regeln und tabuisieren bestimmte Verhaltensweisen, etwa, dass gemeinsame Symbole – zum Beispiel eine Fahne – verunglimpft werden.
Die echten Tabus, sagen Wissenschaftler, sind jene Dinge, über die wir nicht sprechen können, das, was nicht sagbar ist. Alles andere, all die empörten „Das geht gar nicht!“- oder „Das ist absolut tabu!“-Rufe beschreiben oft Dinge, die gar nicht so unmöglich sind, wie sie scheinen. Über echte Tabus schweigen wir, alle.