Mit dem Errichten der islamischen Republik wurde auch die so genannte revolutionäre Lebensweise in allen Alltagsbereichen institutionalisiert. Äußeres Auftreten, Körpersprache, neue Umgangsformen und Verhaltensmuster wurden erfunden, die dennoch auf „islamischen“ und „traditionellen“ Werten basieren sollten.
Dieser islamische Habitus prägte die soziale Interaktion in der postrevolutionären Gesellschaft Irans – und prägt sie noch heute. Er wird oft als Attacke gegen Frauen der Mittelschicht beschrieben, weil etwa die neue Kleiderordnung diese Frauen am meisten trifft: Sie waren vor der Revolution europäisch gekleidet. Heute ist bei Behördenterminen der lange schwarze Tschador Pflicht. Männer tragen einen Bart und lange Ärmel, aber keine Krawatte, weil diese als „westlich“ gilt. Ein weiteres Beispiel ist der Stellenwert des Todes in der iranischen Gesellschaft. Der Kalender orientiert sich an den Todestagen der Märtyrer in den Monaten Moharram, Safar oder Ramadan finden deshalb keine Hochzeiten statt. Auch einige Folgen der iranischen Seifenoper „Patriarch“ wurden mehrere Male wiederholt, um die Folge, in der geheiratet wurde, nicht zu einer unangebrachten Zeit auszustrahlen.
Der Umgang mit dem Tod hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, wozu die Medien viel beigetragen haben. Durch den Märtyrerkult während des Irak-Krieges in den 1980er Jahren veränderten sich die Begräbnisfeierlichkeiten. Angehörige von Verstorbenen wurden interviewt, Bilder und Lebensläufe der Verstorbenen in Zeitungen und im Fernsehen glorifiziert, der Ablauf der Feierlichkeiten fast schon bürokratisch geregelt. Nach dem Krieg hielten sich die veränderten Begräbniszeremonielle, unter anderem weil der Kult um die Verstorbenen auch ein soziales Privileg für die Angehörigen bedeuten konnte.
Die Entwicklung einer medialen Öffentlichkeit und kommerzieller Vermittlungswege im Iran ist jedoch nicht neu. Schon Ajatollah Khomeini wusste beides gezielt für seine Propaganda einzusetzen: Die Vorbereitung der Revolution und die rasche Verbreitung seiner Reden wäre ohne Audiokassetten, die während seines Exils in den Iran geschleust wurden, nicht möglich gewesen. Wenig später waren die Slogans der Revolution in Schulbüchern, Liedern, auf Postern, Briefmarken, Banknoten, sogar Kaugummipapier zu finden. Die Revolution sollte eine islamische Moderne einläuten, durch welche die gesellschaftliche Ungleichheit und die Abhängigkeit vom Westen ein Ende finden sollten. Generell bezieht sich „islamisch“ auf eine moralische Haltung, die dem „westlichen Sittenverfall“ entgegengesetzt wird.
Trotz allem oder gerade deswegen zeigen sich Konsummuster und Tendenzen der Kommerzialisierung im Iran heute besonders in der Verwendung religiöser Schriften und Symbole. Fariba Adelkhah beschreibt in „Being Modern in Iran“ den Umgang mit der heiligen Schrift: Dem Koran war in privaten Haushalten traditionell ein besonderer Platz zugedacht, auf einem kleinen Podest. Er wurde nur zu besonderen Anlässen von diesem Platz entfernt und spielte in religiösen und sozialen Ritualen eine zentrale Rolle. Dementsprechend wurde die heilige Schrift nur auf besonderem Papier gedruckt. Seit den 1990er Jahren jedoch kann man in fast allen iranischen Zeitungen so gut wie täglich Auszüge oder Suren aus dem Koran lesen, auf die sich die Autoren in ihren Artikeln beziehen. Mit derselben Zeitung wickeln Metzger auch Fleischstücke ein.
Für viele Iraner stellt dies einen noch nie da gewesenen, alltäglichen Umgang mit der heiligen Schrift dar. Die Kommerzialisierung von Reliquien schlägt sich außerdem in der Produktion des Korans in allen Farben und Größen nieder, der, seiner sakrosankten Symbolhaftigkeit beraubt, nun auch im Miniformat als Schlüsselanhänger dient. Gleichzeitig wird religiöses Wissen leichter zugänglich gemacht: Im Fernsehen wird dafür geworben, das Geräusch des Telefons, während man in der Leitung wartet, durch Koranverse zu ersetzen. Der Konsument kann telefonisch jederzeit die Sure seiner Wahl hören, indem er die Nummer 114 wählt. Die Zahl entspricht den 114 Suren des Koran.
Technischer und ökonomischer Fortschritt im Iran haben zu einer Differenzierung und Individualisierung der Gesellschaft beigetragen. Islamische Akteure bringen sich in moderne urbane Räume ein, benutzen globale Kommunikationsnetze und engagieren sich in öffentlichen Debatten. Hier verließe, so die Islamwissenschaftlerin Nilüfer Göle, der Islam einen radikal politischen Standpunkt und orientiere sich stärker an sozialen und kulturellen Standpunkten. Der Islam dringe, anstatt als Bezugspunkt zu verschwinden, tie-fer in das soziale Gewebe und gesellschaftlich Imaginäre ein. Festgeschriebene Traditionen müssen dabei immer wieder neu gerechtfertigt und ausgehandelt werden. Der Iran reiht sich diesbezüglich in die Liga postmoderner Gesellschaften ein: Religion wird kommerzialisiert und wehrt sich gleichzeitig dagegen.