Treue Baumeister

von Andrea Fernández

Eine Geschichte geht um die Welt (Ausgabe III/2020)

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Ein Rosttöpfer. Illustration: mauritius images


Man sieht es in der einsamen Steppe Patagoniens, auf Andenhängen, wo alle Pflanzen Stacheln tragen, in den Nebelwäldern der Schluchten und in den undurchdringlichen Dschungeln des Tieflands, aber auch in den großen Städten Argentiniens: In fast jedem Winkel, auf Bäumen, Strommasten, Zaunpfählen oder Hausgiebeln findet man das braune Nest des Rosttöpfers. Der mittelgroße, scheue Vogel hat ein unscheinbares braunes Gefieder. Was ihn jedoch besonders macht, ist die Form seines Nestes. Gebaut aus Lehm und Pflanzenfasern ähnelt es einem traditionellen Brotbackofen, wie er in Argentinien früher auf dem Land überall benutzt wurde. Auch seinen spanischen Namen "hornero", "Bäcker", hat er deswegen bekommen.

Zwar lebt dieser Töpfervogel auch in den Nachbarländern, aber nur in Argentinien ist er seit 1928 Nationalvogel. Die Zeitung "La Razón" hatte damals zusammen mit der Ornithologischen Gesellschaft Argentiniens Schüler dazu aufgerufen, abzustimmen, welcher Vogel das Land am besten repräsentiere. Die Mehrheit votierte für den Rosttöpfer. Der Kondor schaffte es überraschend nur auf Platz zwei. Die Schüler begründeten ihre Wahl mit dem beeindruckenden Fleiß der Rosttöpfer. Allein mithilfe ihres Schnabels errichten diese Vögel innerhalb weniger Tage, manchmal in nur einer Woche, ihr aufwendiges "getöpfertes" Nest. Und das in Teamarbeit: Rosttöpferpärchen machen alles gemeinsam und bleiben ein Leben lang zusammen. Man hört sie sogar im Duo singen, wenn die Küken zu Herbstbeginn flügge werden und die Vogeleltern das Nest verlassen, um im nächsten Frühling wieder ein neues zu bauen.

Aus dem Spanischen von Timo Berger



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