Maret Voss setzt sich an ihren Tisch im Wohnzimmer, klappt den Laptop auf und rückt die Kamera zurecht. Viel Zeit, sich vorzubereiten, hat die 28-Jährige mit den langen blonden Haaren nicht, denn nach nur wenigen Klicks beginnt ihr Spanischkurs auf Skype. Voss hat die Sprache in Ecuador gelernt, als sie in einem Kinderhilfsprojekt arbeitete. Nun möchte sie ihre Kenntnisse auffrischen. Eine Freundin erzählte ihr von glovico.org, einer Internetplattform, auf der man Lehrer aus Entwicklungsländern buchen kann, die über Skype Spanisch, Französisch und Englisch unterrichten. Voss war sofort interessiert.
Um Punkt 16 Uhr stellt die Spanischlehrerin die Verbindung nach Hamburg her. Man hört ein fröhliches „Hola“, gleich danach erscheint Denyse Chávez aus Peru auf dem Bildschirm. Die 22-jährige Frau hat dunkelbraune Haare und trägt ein weiß-blaues Tuch, das sie sich elegant um den Hals gewickelt hat. Hinter Chávez ist der große, braun gestrichene Computerraum ihrer Sprachschule zu sehen. Im Hintergrund laufen Menschen durchs Bild.
10.705 Kilometer entfernt in Hamburg rutscht Voss auf ihrem Stuhl hin und her. Sie ist nervös. Schon länger hat sie nicht mehr Spanisch gesprochen. Doch ihre Lehrerin Chávez strahlt Ruhe aus, lässt es langsam angehen. Voss soll erst einmal spanische Adjektive nennen und in Sätze einbauen. Obwohl Chávez selbst noch Touristik-Studentin ist, unterrichtet sie bis zu 40 Wochenstunden. In den zwei Monaten Hochsaison ist ihre peruanische Heimatstadt Cusco voller Menschen, die alle die Inkaruine Machu Picchu besichtigen möchten. Dann sind die Sprachschulen voll. Doch sobald die Touris-tenströme versiegen, bleibt auch das Geld weg. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Glovico für die Sprachschule ein Glücksfall.
Tobias Lorenz, der Gründer von Glovico, entwickelte das Geschäftskonzept, als er 2009 in Eritrea für seine Doktorarbeit über nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit recherchierte. Der 29-Jährige analysierte ein „soziales Unternehmen“, eines, das alle Gewinne wieder investiert. Nun ist er mit Glovico selbst Inhaber eines solchen Unternehmens.
Seine Sprachlehrer wohnen in Lateinamerika, Afrika und auf den Philippinen. Für eine Stunde Unterricht bezahlen die Sprachschüler sieben bis acht Euro, davon verbleiben zwei bei Glovico. Ziel ist es, Menschen in Entwicklungsländern einen Zusatzverdienst zu ermöglichen und den kulturellen Austausch anzukurbeln. „Es sind nicht die Ärmsten der Armen, mit denen wir arbeiten“, sagt Lorenz, „aber vielleicht können wir auch so nachhaltig etwas bewegen.“ Seine Hoffnung sei es, zu einem besseren Verständnis von Globalisierung beizutragen. „Dafür brauchen wir interkulturelle Kommunikation auch im Alltag.“
Lorenz möchte gewährleisten, dass sich sein wirtschaftliches Handeln positiv auswirkt. „Ein Risiko wäre, dass man lokalen Schulen den Lehrer abwirbt, weil er bei uns besser verdient“, sagt er. Wenn sich so einer bewerbe, wolle er daher ein Stundenlimit setzen oder auch ganz auf ihn verzichten. In Südamerika kooperiert Glovico mit Sprachschulen, in Afrika direkt mit den einzelnen Lehrern, die Lorenz über sein persönliches Netzwerk findet. Etwa 150 Nutzer hat die Glovico-Internetplattform, regelmäßig buchen bislang etwa 20 Schüler Stunden auf Skype.
Immer wieder fallen während des Unterrichts Sätze, die Voss und Chavez etwas über das Leben der jeweils anderen Frau beibringen. „Ich habe kein Auto, weil man hier in Hamburg sowieso keinen Parkplatz bekommt“, ist so ein Satz. Nach dem Sprachkurs hat Voss ein Lächeln auf den Lippen und gerötete Wangen. Es war eine intensive Stunde. Gestört hat sie nur, dass ein Text ihrer Lehrerin so kurz vor dem Unterricht eintraf, dass keine Zeit mehr blieb, ihn auszudrucken. Doch sie sagt: „Es ist wesentlich besser als in der Volkshochschule.“
Chávez unterrichtet neben deutschen Sprachschülern via Skype auch etliche aus anderen Ländern und genießt die Einblicke in fremde Kulturen: „Da treffe ich Menschen aus Deutschland, Israel, sogar von den Bahamas und kann herausfinden, wie sie leben.“