Der Marsch durch die Institutionen

von Shin Heisoo

Was vom Krieg übrig bleibt (Ausgabe I/2007)


Als koreanische Überlebende und Frauenorganisationen 1990 die Zwangsprostitution durch das japanische Militär im Zweiten Weltkrieg öffentlich machten, reagierte die japanische Regierung mit totaler Ablehnung. Sie behauptete, die Rekrutierung der so genannten Trostfrauen wäre seinerzeit durch private Unternehmer erfolgt, ohne jegliche Beteiligung der kaiserlichen Armee oder der japanischen Regierung. Diese absolute Verleugnung des Kriegsverbrechens veranlasste das „Korean Council for the Women Drafted for Military Sexual Slavery by Japan“ (Korean Council), das Thema vor die Vereinten Nationen und damit in die internationale Aufmerksamkeit zu bringen.

Die Forderungen des Korean Council lauten: Anerkennung der Verbrechen, vollständige Aufklärung, formelle Entschuldigung, angemessene Entschädigung, Bestrafung der verantwortlichen Verbrecher, Errichtung eines Denkmals und tatsachengetreue Aufnahme in die Geschichtsbücher. Das Korean Council begann, die schmerzhaften Erfahrungen der Überlebenden als Sexsklavinnen für das japanische Militär zu dokumentieren. Die erste Demonstration 1992 gegen den Staatsbesuch des damaligen japanischen Premierministers in Korea war Ausgangspunkt für bis heute andauernde Proteste. Noch immer erheben die Überlebenden gemeinsam mit Mitgliedern des Korean Council und anderen Teilnehmern jeden Mittwochmittag in Seoul vor der japanischen Botschaft ihre Stimmen: „Setzt die Empfehlungen der Vereinten Nationen um, bevor es für die Opfer zu spät ist.“

Im Sommer 1992 gingen vier Mitglieder des Korean Council nach Genf, um vor der „UN-Unterkommission zur Unterstützung und zum Schutz der Menschenrechte“ vorzusprechen und das Thema der sexuellen Ausbeutung durch die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg anzubringen. Eine Überlebende, Frau Hwang, sprach bei einer internationalen Pressekonferenz und sagte als Zeugin vor Mitgliedern der Unterkommission aus und erreichte damit zum ersten Mal die internationale Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund der brutalen systematischen Massenvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina, die zu dieser Zeit die Welt schockierten, zeigten die Menschen tiefes Interesse und Verständnis. In einer zehnminütigen Rede erklärte ich als Repräsentantin des Korean Council den 26 unabhängigen Experten der Unterkommission, worum es uns ging, und forderte die Einmischung der Vereinten Nationen.

Im darauffolgenden Jahr sprach ich erneut in Genf vor, diesmal vor dem UN-Menschenrechtsrat, der als regierungsübergreifendes Organ der Unterkommission vorsteht. Im Mai nahmen wir an einer Arbeitsgruppe zu gegenwärtigen Formen der Sklaverei teil, die aus fünf Mitgliedern der Unterkommission bestand. Bei einem Treffen der Arbeitsgruppe legte je eine Überlebende aus Nord- und Südkorea Zeugnis über die Gräueltaten ab, die sie als Zwangsprostituierte der japanischen Armee erdulden mussten.

Hilfe und Unterstützung bekamen wir auch von anderen internationalen Organisationen wie dem Weltkirchenrat und dem Internationalen Juristenausschuss. Die zahlreichen Auftritte auf internationalen Konferenzen und die erfolgreiche Lobbyarbeit fruchteten 1993 schließlich in einer Resolution der Menschenrechtsunterkommission, die einen Sonderberichterstatter zu systematischer Vergewaltigung, sexueller Sklaverei und sklavereiähnlichen Praktiken in bewaffneten Konflikten berief.

1994 bestimmte der UN-Menschenrechtsrat eine weitere Sonderberichterstatterin zum Thema Gewalt gegen Frauen: Radhika Coomaraswamy aus Sri Lanka. Sie nahm dankenswerterweise unsere Bitte an, ihre erste Felduntersuchung zu den japanischen Kriegsverbrechen vorzunehmen. Beide Sonderberichterstatter kamen 1995 nach Korea und verfassten 1996 und 1998 zwei hervorragende Berichte. Beide kamen zu dem Schluss, dass Japan gegen internationales Menschenrecht verstoßen hatte und zur Wiedergutmachung angehalten werden sollte.

Infolge des internationalen Drucks stellte die japanische Regierung selbst Untersuchungen an und gab in zwei Berichten nur teilweise und widerwillig die Beteiligung der eigenen Streitkräfte und die Anwendung von Gewalt zu. Japan wies seine rechtliche Verantwortung mit der Begründung zurück, das Thema Zwangsprostitution sei vollständig durch den Friedensvertrag von San Francisco und weitere bilaterale Verträge behoben worden. Um „ihre Gewissensbisse auszudrücken“, gründete die japanische Regierung 1995 einen Fonds für asiatische Frauen und bot überlebenden Opfern aus Südkorea, Taiwan und den Philippinen ein „Geld der Buße“ an. Die meisten Überlebenden aus Korea und Taiwan lehnten das Geld ab, da es private Wohltätigkeitsgelder und keine staatlichen Entschädigungen für die begangenen Verbrechen waren. Zusätzlich wurde ein Betrugsfall bekannt: Eine vom Fonds Asiatischer Frauen als Empfängerin aufgeführte koreanische Überlebende hatte kein Geld erhalten.

Japans Regierung ignoriert weiterhin die Sonderberichte und weigert sich, die Empfehlungen der UN-Menschenrechtskommissionen umzusetzen. Japans Versagen, die gegen Frauen begangenen Verbrechen und auch andere Kriegsverbrechen der Vergangenheit schonungslos anzuerkennen, wurde immer mit Deutschlands Leistung bei der Wiedergutmachung der Naziverbrechen verglichen.

Ein anderes multilaterales Forum, das wir uns zunutze machten, um das Thema der sexuellen Versklavung während des Krieges aufzuwerfen, war die International Labor Organisation (ILO). Innerhalb der ILO wurde Japan angeklagt, das Abkommen zur Zwangsarbeit verletzt zu haben, das 1932 von Japan ratifiziert worden war. Den Anstoß gab ein kanadisches Mitglied aus der Lehrergewerkschaft in Japan. Diese Initiative wurde sofort von zwei Gewerkschaften in Korea und dem Korean Council aufgegriffen. Zehn Jahre lang war das Thema auf der Tagesordnung der ILO-Konferenzen. Die Berichte der Expertenkommission hielten den Fall der militärischen Zwangsprostitution durch Japan als eine Verletzung der Arbeitskonvention fest. Im Bericht aus dem Jahr 2003 umfasste die Abhandlung 15 Seiten.

Die japanische Arbeitgeber- und Regierungsseite verhinderte jedoch bisher, dass es zu einer genaueren Untersuchung der Verletzung der Arbeitskonvention kam. Der Angestellte, der 2003 den Bericht über Japan geschrieben hatte, wurde inzwischen seiner Funktion enthoben. Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Beitrag der japanischen Regierung am Haushalt der ILO 19 Prozent beträgt.

Das Korean Council bediente sich noch eines anderen Instruments zum Schutz der internationalen Menschenrechte: dem Vertragssystem für internationale Menschenrechte. Japan hat sechs große Abkommen für Menschenrechte ratifiziert. Danach ist die japanische Regierung verpflichtet, in regelmäßigen Abständen an alle überwachenden Komitees über den Stand der Umsetzung des unterzeichneten Abkommens Bericht zu erstatten. Bei der Untersuchung der japanischen Berichte griffen zwei Ausschüsse das Thema der sexuellen Versklavung durch das Militär auf: der Ausschuss des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) und der Ausschuss des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW).

1994 hatte das Korean Council einen inoffiziellen Bericht beim CESCR eingereicht. In seiner Beurteilung des japanischen Halbjahresberichts für das Jahr 2001 äußerte sich der Ausschuss betroffen über die Art der Wiedergutmachung aus privaten Mitteln für die „comfort women“, den Frauen, die in Kriegszeiten aus ehemaligen Kolonialgebieten rekrutiert und zur Prostitution gezwungen worden waren. Der CESCR empfahl eine Form der Wiedergutmachung, die von den Opfern auch angenommen werden kann und die sie offen repräsentiert, „bevor es zu spät ist“.

Die CEDAW empfahl der japanischen Regierung zweifach, 1994 und 2003, das Kapitel sexuelle Ausbeutung während der Kriegszeit zu bereinigen. Seit ich selbst Mitglied der CEDAW bin, konnte ich persönlich die Haltung der japanischen Regierung zu diesem Thema beobachten. Bei der Prüfung des japanischen Berichts befand ich mich unter den vier Sachverständigen, die das Thema der „comfort women“ ansprachen. Anschließend führte die japanische Delegation Gespräche mit allen Experten, außer mit mir. In einem gewissen Ausmaß drohte die japanische Delegation den Sachverständigen, die CEDAW würde ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn die Zwangsprostitution durch das japanische Militär in den abschließenden Stellungnahmen zu dem Bericht zur Sprache käme. Natürlich kam sie zur Sprache, aber es ist klar, dass die japanische Regierung nicht willens oder fähig ist, die Abkommen oder die Empfehlungen von UN-Komitees umzusetzen.

Innerhalb unseres 15 Jahre andauernden Kampfes sind allein in Südkorea 100 Opfer verstorben. Die anklagenden Stimmen vor der japanischen Botschaft in Seoul werden immer schwächer, da sie alle über 80, manche sogar über 90 Jahre alt sind. Die restlichen 125 Überlebenden sind periodisch in medizinischer Betreuung.

In dieser Situation entschied das Korean Council, ein Museum zu errichten, das wir „Museum für Kriegsgeschichte, Frauen- und Menschenrechte“ nennen wollen. Es soll die Mittwochsdemonstrationen ersetzen, ein lebendiges Zeugnis über die Kriegsopfer ablegen und künftigen Generationen eine historische Lehrstunde für Frieden und Menschenrecht sein.

Die „Trostfrauen“
Von Japans Invasion in der Mandschurei 1931 bis zur japanischen Kapitulation 1945 wurden nach Schätzungen zwischen 50.000 und 300.000 asiatische Frauen deportiert und in japanischen Militärbordellen, den „comfort stations“ zur Prostitution gezwungen. 80 Prozent von ihnen kamen aus dem damals noch ungeteilten Korea. Die Mehrzahl der „comfort women“ überlebte die Lager nicht. 
 1995 wurde in Japan der „Asia Women´s Fond“ eingerichtet, um Überlebende aus privaten Spendenmitteln zu entschädigen. 285 Opfer erhielten je zwei Millionen Yen (rund 14.700 Euro) sowie soziale und medizinische Hilfe. Anfang 2005 wurde die Auflösung des Fonds zum März 2007 angekündigt.

Aus dem Englischen von Adina Danisch
 
 



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