Meine achtjährige Tochter überrascht mich eines Tages mit dem Wunsch, sie wolle ins Kairoer Fußballstadion – aber nicht, um das Spiel mitzuverfolgen, sondern um einen algerischen Fan zu verprügeln. Ich wundere mich über diese seltsame Bitte, verstehe aber, dass es sich um den Wunsch eines kleinen Mädchens handelt, dessen Phantasie von der Medienhysterie angefeuert wurde, die dieses Jahr angesichts des entscheidenden WM-Qualifikationsspieles Ägypten-Algerien hochkochte und zu Verletzten in Kairo, Algerien und Khartum führte, wo das Spiel ausgetragen wurde.
In der Schule lernen die Kinder zwar, dass Ägypten und Algerien arabische Bruderländer sind, doch den Medien gelang es innerhalb von wenigen Wochen, die Menschen beider Länder derart mit Lügen und Gerüchten zu bombardieren, dass die seit vielen Jahren gefestigten kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Beziehungen gänzlich zusammenzubrechen drohten. Dieses Fallbeispiel kommt mir oft in den Sinn, wenn ich über die negative Rolle nachsinne, die Medien dabei spielen können, starke Beziehungen zwischen Ländern mit vielen Gemeinsamkeiten zu erschüttern. Noch gravierender sind die Auswirkungen, wenn es sich um Beziehungen handelt, die ohnehin schon angespannt und von Misstrauen geprägt sind.
Mangelnde professionelle Standards machen sich vor allem dann bemerkbar, wenn Medien über umstrittene oder sensible Themen berichten. Da liest und hört man Geschichten, die sich über Tatsachen hinwegsetzen, munter Meinung mit Berichterstattung vermengen und nur Vorurteile reproduzieren. Im Ergebnis klären die Medien hier nicht über die Sachlage auf, sondern werden zu einem Instrument der Aufhetzung. Das zeigte sich besonders deutlich bei der Krise um die dänischen Karikaturen. Das Erstaunliche war dabei, dass die ägyptischen Medien anfangs ausgewogen und rational berichteten. Die Wochenzeitung al-Fajr druckte die Karikaturen sogar selbst, wobei sie die beschränkte Sichtweise kritisierte, den Islam mit Terrorismus gleichzusetzen. Im weiteren Verlauf entstand aus der ausgeglichenen Berichterstattung eine Hetzkampagne. Ich verweise nur auf die Aufmacher der jordanischen, islamistisch geprägten Wochenzeitung al-Haqiqa, die Fotos der dänischen Karikaturisten veröffentlichte mit der Unterschrift „Polizeilich gesucht“.
Die Zeitung Jyllands Posten war von einer quasi absoluten Presse- und Meinungsfreiheit ausgegangen, laut derer man über alles schreiben darf, ohne sich um Sensibilitäten oder kulturelle Unterschiede scheren zu müssen. Die westlichen Medien versuchten nicht einmal, den Ärger der Muslime zu verstehen. Nun gehört die Presse- und Meinungsfreiheit zu den elementarsten Menschenrechten und jeder Journalist sollte sie bis aufs Äußerste verteidigen, insbesondere wenn er in einer Region arbeitet, der Demokratie fast gänzlich abgeht und wo unabhängige Medien eine der wenigen Waffen der Zivilgesellschaft sind. Doch ich bin überzeugt, dass de facto selbst in den auf ihre Errungenschaften besonders stolzen Demokratien keine absolute Freiheit existiert. In den meisten europäischen Ländern ist etwa die Leugnung des Holocaust gesetzlich verboten, was bedeutet, dass kein Journalist eine Meinung oder einen Bericht veröffentlichen kann, der dem zuwiderläuft.
Im Kulturdialog ist die Politik besonders von den negativen Auswirkungen der Medien betroffen. Der durchschnittliche arabische Muslim fühlt sich seit dem Beginn des sogenannten „Kriegs gegen den Terror“ in der Schusslinie des Westens und dieses Empfinden spiegelt sich auch in den Berichten arabischer Medien. Die Kontroverse über das Minarettverbot in der Schweiz ist ein Beispiel dafür, wie um eingefleischter Vorurteile willen Tatsachen außer Acht gelassen werden: Der Streit wurde von den arabischen Medien schlicht als erneuter Feldzug des Westens gegen den Islam präsentiert. Die konservative Zeitung al-Ahram brachte zahlreiche Artikel, die das Schweizer Vorgehen kritisierten, einmal unter dem Titel „Die Rassisten des Okzidents im Kampf gegen die Minarette des Orients“. Der Standpunkt, dass es möglicherweise das gute Recht der Schweizer sein könnte, sich zu organisieren, wie es ihnen gefällt, geriet dabei fast völlig ins Hintertreffen.
Andererseits zelebrieren westliche Medien Stimmen, die von Angriffen auf den Islam leben. Vertreter der Organisation „Stop Islamization of America“ etwa sind ständig in Fernsehen und Presse präsent, ebenso wie jene Schwarzmaler, bei denen persönliche Meinung Fakten hinten anstehen lässt. Man muss wissen, dass die Menschen in den arabischen Ländern bei ihrer Wahrnehmung westlicher Medien im Allgemeinen nicht zwischen Europa und den USA unterscheiden. Die Folgen negativer Meinungsmache durch Journalisten zeigen die Ergebnisse einer kürzlich von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichten Studie zu Deutschland. Oliver -Decker, der Leiter der Studie spricht im Online-Magazin Qantara über eine „sehr deutliche Zunahme von bisher 34 Prozent auf über die Hälfte der Bevölkerung, die islamfeindlichen Aussagen zustimmt“.
Aus dem Arabischen von Nicole Abbas