Irgendwo in Afrika

von Carmen Eller

Weniger ist mehr. Über das Wachstum und seine Grenzen (Ausgabe I/2011)


Um der Welt seine Geschichte zu erzählen, ist der Mann im ozeanblauen Gewand weit gereist: aus seiner Heimat Niger bis nach New York, zum verspiegelten Wolkenkratzer der Vereinten Nationen. Bis zu den Knöcheln reicht ihm der glänzende Stoff, um seinen Kopf türmt sich ein auberginefarbenes Tuch zu einem imposanten Turban. „Bonjour“, grüßt er am Rednerpult ohne ein Lächeln, holt tief Luft und beginnt: „Man sagt uns, Atomenergie sei sauber und sicher, aber das stimmt nicht.“ Der Mann heißt Almoustapha Alhacen, ist Stammesvertreter der Tuareg und Präsident der NGO „Aghirin’man“, die sich für den Umweltschutz einsetzt.

Die Geschichte, die der hochgewachsene Afrikaner im Mai 2010 auf der UN-Konferenz „Commission on Sustainable Development“ erzählt, beginnt in seiner Heimatstadt Arlit und endet in europäischen Steckdosen. „Ich war 20 Jahre alt und unwissend wie alle meine Freunde, als wir anfingen, im Uranabbau zu arbeiten“, sagt Alhacen. „Seitdem wir diesen Rohstoff bei uns abbauten, gab es mit einem Mal neue, unerklärliche Krankheiten.“ Auch die Pflanzen und Tiere in der Umgebung seien verschwunden. „Wir verloren unsere Lebensgrundlage, die Viehzucht.“ Fehlgeburten häuften sich. Dann spricht der afrikanische Aktivist vom Wasser, das in großen Mengen für den Uranabbau nötig sei. „Wir verseuchen die Grundwasservorräte in unserer Region und es gibt keinen sauberen Nachschub.“

Ähnliche Geschichten erzählen Aktivisten aus den verschiedensten Teilen der Welt: Indien, Russland, Australien oder auch Kasachstan, dem Land, das nach dem Jahresbericht der europäischen Atomgemeinschaft Euratom 2009 weltweit am meisten Uran herstellte. Insgesamt ist die Uranproduktion laut -Euratom 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent auf 51.000 Tonnen angewachsen. Tendenz: steigend. Aber auch die Uranvorräte sind begrenzt.
Seit 1968 schürft Frankreichs Staatskonzern Areva Uran in Niger, einem der ärmsten Länder der Erde. Der Rohstoff wird dort abgebaut, aufbereitet, und anschließend in der ganzen Welt verkauft. Die Felsbrocken aus der Mine werden zunächst in Fabriken zermahlen, dann wird das Uran herausgelöst. Dabei entsteht ein gelbes, pulverförmiges Gemisch, der sogenannte „Yellowcake“. Dieser wird verladen, nach Benin transportiert und von dort aus nach Frank-reich verschifft. Seit 40 Jahren dient Uran aus Niger als Ressource für Europas Stromversorgung. Nach eigenen Aussagen erfüllt Areva beim Strahlenschutz die höchsten internationalen Standards.

Auf die Frage, woher das Uran für die 17 deutschen Kernkraftwerke komme, verweist das Deutsche Atomforum auf die Kernkraftwerksbetreiber. Doch diese halten sich bedeckt, wenn es um ihre Vertragspartner geht. So bittet EnBW um Verständnis dafür, „dass wir auch aus wettbewerblichen Gründen einzelne Liefer- und Vertragsbeziehungen nicht in der Öffentlichkeit kommunizieren.“ Vattenfall verrät immerhin: „Wir haben in unseren Kernkraftwerken Uran zum Beispiel aus Kanada, Russland, den USA und dem afrikanischen Kontinent im Einsatz.“ E.ON gibt an, dass 2009 knapp 70 Prozent aus Kanada, knapp zehn Prozent aus Australien und Namibia sowie der Rest aus Kasachstan und Usbekistan stammten, möchte aber ebenfalls „aus wettbewerbsrechtlichen Gründen keine Namen von Natururanlieferanten beziehungsweise Brennelementherstellern nennen“. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt zwar nicht, dass Uran aus Niger in deutschen Kraftwerken landet, kann dies aber auch nicht ausschließen. Sicher ist: Auch in Deutschland macht man Geschäfte mit Areva. Der Konzern liefert sowohl Natururan als auch Brennstäbe.

Der Afrikaner Alhacen hat eine klare Vorstellung davon, was sich in Zukunft ändern muss. „Wir brauchen eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die sich mit den Auswirkungen des Uranabbaus auf die Flora und Fauna, auf Frauen, Kinder und zukünftige Generationen auseinandersetzt.“ Vor allem aber fordert er Aufklärung. „Die Menschen werden über die gesundheitlichen Risiken des Uranabbaus im Unklaren gelassen“, kritisiert er. „Die Öffentlichkeit weiß viel über Tschernobyl und Plutonium, aber wenig über die Auswirkungen von niedriger radioaktiver Strahlung.“ Viele glaubten den Versprechungen der Konzerne von Wohlstand durch Uran. Alhacen fällt dies schwer: „Man sagt, dass Uranabbau uns aus der Armut helfen wird, aber wir haben heute noch keine befestigten Straßen, kein klares Trinkwasser und keine Schulen für unsere Kinder.“



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