Wer an der Themse-Mündung auf das Meer blickt, sieht am Horizont winzige Punkte, die aussehen wie vor Anker liegende Schiffe. Es sind die »Maunsell Sea Forts«, ehemalige Wehranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg, die acht Meilen vor der Küste vor sich hin rosten. Während des Krieges mussten Soldaten dort zwischen vier und sechs Wochen Wache schieben. Viele von ihnen litten unter der unfreiwilligen Isolation. Nach einem Suizidfall wurde den Anlagen des Architekten Guy Maunsell der Spitzname »Fort Madness« verpasst – und den Soldaten ärztlich verordnet, künstlerisch aktiv zu werden. Jeder Soldat war verpflichtet, zu zeichnen, zu sticken oder zu schnitzen. Für das schönste Werk gab es eine Flasche Rum.
Quasi in Tradition der damals geschaffenen Kunst beschloss ich im Jahr 2005, ebenso lang in einem der Forts zu leben und die Erfahrung künstlerisch zu verarbeiten. Ein Hubschrauber setzte mich auf dem ehemaligen Leuchtturm der Anlage ab, mit Proviant für fünf Wochen und einem Zelt. Dreißig Fuß über der Meeresoberfläche, zwischen Himmel und Wasser und umgeben von rostigem Stahl, war ich der Welt völlig enthoben, ohne jeden Kontakt zu meiner Familie. Zwischen Pin-up-Postern aus den 1940er-Jahren fand ich auch Überbleibsel aus den 1960er-Jahren: Damals besetzten der Sänger Screaming Lord Sutch und seine Mitstreiter einen Turm der Forts und installierten dort eine »Piraten-Radiostation«. Die Forts wurden so zum Symbol von Anarchie, Freiheit und Rebellion.
Protokolliert von Gundula Haage