Frau Selasi, Sie haben in vielen Städten gelebt, von Accra bis Berlin. Wie nehmen Sie das Dazwischensein wahr, wenn Sie von einem Ort zum anderen reisen?
In den vergangenen drei Jahren bin ich mindestens zweimal pro Monat gereist. Ich sage oft scherzhaft, dass ich mich in der Abflughalle eines Flughafens zu Hause fühle. Vielleicht, weil ich am Flughafen nicht an eine bestimmte Version meiner selbst gebunden bin, die je nach Ort und den dortigen Bindungen existiert. Am Flughafen kann ich darum am freiesten, am klarsten denken. Und auch wenn mich die Banalitäten der heutigen Flughafenkultur immer sehr ungeduldig machen, liebe ich es, unterwegs zu sein.
Was bedeutet es für Sie, an verschiedenen Orten auf der Welt verwurzelt zu sein?
Multilokal zu sein, heißt für mich, dass ich das Gefühl habe, sehr privilegiert zu sein. Mein Leben erlaubt mir, eine der reichsten Varianten des Menschseins im 21. Jahrhundert zu erfahren. Früher war ich verängstigt, verwirrt und fühlte mich dem Urteil anderer ausgeliefert, aber mittlerweile gelingt es mir, den Reichtum, die Vielfalt, die Textur, und ja, auch manchmal die Komplikationen zu genießen, die das multilokale Leben in einer zunehmend multilokalen Welt mit sich bringt.
Sie sind viel unterwegs. Haben Sie ein bevorzugtes Fortbewegungsmittel auf Ihren Reisen?
Ja, die Bahn. Ich liebe es, aus dem Fenster zu schauen, mit der Erde verbunden zu sein, aber mich gleichzeitig fortzubewegen. Denn ganz egal, wo ich Bahn fahre, ich komme immer zum Lesen und zum Schreiben. Züge haben schon immer meine Fantasie beflügelt, vor allem, wenn ich am Fenster sitze.
Verbinden Sie konkrete Transportmittel mit den verschiedenen Städten, in denen Sie bisher gelebt haben?
Auf jeden Fall. Das Transportmittel, das ich am meisten mit Berlin verbinde, ist mein Fahrrad. Lissabon hat viele Kopfsteinpflaster, die das Radfahren nahezu unmöglich machen, darum gehe ich dort viel zu Fuß, ebenso als ich in Rom lebte. Es ist wunderbar, sich in den gewundenen Kopfsteinpflastergässchen zu verlaufen. Als ich in New York lebte, war ich sehr arm, also fuhr ich immer mit der U-Bahn. Aber ich habe es geliebt! Und selbst heute vermittelt mir das Geräusch, das die Türen der U-Bahn beim Schließen machen, noch das Gefühl, wieder in New York zu sein. Mit Accra verbinde ich leider das Auto. Es gibt dort noch immer nicht die nötige Infrastruktur für funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. Wenn ich die 25 Kilometer über die Grenze nach Togo fahre, nach Lomé, gibt es dort bereits überall U-Bahnhöfe. Ich hoffe, das wird auch in Accra bald so sein.
Mit welchem Verkehrsmittel reisen Sie am häufigsten?
Leider reise ich meistens mit dem Flugzeug. Es ist schlecht für die Umwelt, aber nach wie vor gibt es noch keine nachhaltige Alternative, um in drei Stunden von Lissabon nach Stuttgart zu kommen.
In Schweden wurde kürzlich der Begriff „Flygskam“, Flugscham, geprägt. Was halten Sie davon?
Es überrascht mich nicht, dass der Begriff aus Schweden kommt, denn dort können sie sich diesen Luxus erlauben. Mit Blick auf die globale Wirtschaft und den Imperialismus ist klar: Die Orte, an denen sich das Verhalten des globalen Nordens am stärksten auf das Klima auswirkt, liegen nicht im Norden, also hat man dort das Privileg, zu sagen, „Ach, lasst uns nicht mehr fliegen, stattdessen wandern wir durch unsere stillen, unberührten Fjordlandschaften.“ Aber wenn man in einem Land wohnt, in dem eine riesige Menge amerikanischer Altkleider und anderer Abfall auf Deponien entsorgt wird, dann hat man nicht den Luxus von Schuldgefühlen, dann trägt man diese Last einfach.
ein Interview von Gundula Haage
aus dem Englischen von Caroline Härdter