Seit März 2013 befindet sich die Zentralafrikanische Republik in einem Teufelskreis der Waffengewalt, deren Hauptursachen untrennbar mit ihrer politischen und gesellschaftlichen Geschichte verbunden sind. Die Krise von 2013 ist die x-te in einer langen Reihe von Krisen und der offensichtliche Beweis für die Instabilität des Landes: Wechselnde Regierungen haben es seit dem offiziellen Ende der französischen Kolonialherrschaft im Jahre 1960 nicht geschafft, echte republikanische Institutionen zu etablieren, die lebensfähig und beständig sind und die die Gleichheit und die ungehinderte Entfaltung jedes einzelnen Bürgers garantieren können.
Allen Anstrengungen zum Trotz, auf die sich sowohl nationale als auch internationale Akteure geeinigt hatten, um die Gewalt bewaffneter Gruppen gegen die Bevölkerung zu stoppen, bleibt die Lage des Landes alarmierend. Das Wiederaufflammen der Gewalt seit Beginn des Jahres 2018, besonders in der Hauptstadt Bangui (obwohl dort viele Soldaten und Sicherheitskräfte stationiert sind), lässt die Aussicht auf einen baldigen Frieden in der Zentralafrikanischen Republik von Tag zu Tag unrealistischer erscheinen. Warum wird die zentralafrikanische Krise so schnell nicht enden? Zum einen liegt dies daran, dass die Lehren, die man aus der Geschichte des Landes ziehen kann, bei den derzeitigen Versuchen zur Lösung des Konfliktes nicht ausreichend berücksichtigt werden. Zum anderen sind die angewandten Mittel dieser Herausforderung nicht gewachsen.
Gelegen im Herzen Afrikas, nimmt »Zentralafrika « eine Fläche von 623.000 Quadratkilometern ein und ist damit fast doppelt so groß wie Deutschland. Auf diese Fläche kommen nur 5,1 Millionen Einwohner, das Land ist dünn besiedelt. Zentralafrika ist von anderen Staaten eingeschlossen, aber es hat ein paar Vorzüge, die seine Entwicklung hätten begünstigen können: wichtige natürliche Rohstoffe, ethnische und kulturelle Vielfalt und eine gemeinsame Sprache, das Sango. Sie ist ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, den sozialen Zusammenhalt zu festigen. Dennoch haben seine geografische Lage, destabilisierende Einmischungen von außen und eine schlechte Regierung das Land im Laufe der Jahre sehr geschwächt.
Tatsächlich ist die Zentralafrikanische Republik heute einer der schwächsten Staaten. Als »schwachen Staat« bezeichnet man ein Gemeinwesen, dessen Regierung außerstande ist, seinen Bürgern ein Leben in Frieden und Würde zu ermöglichen, frei von Furcht, Mangel und Hoffnunglosigkeit. Nach dem von der US-amerikanischen NGO Fund for Peace ermittelten »Fragile States Index«, der die Schwäche von Staaten beurteilt, liegt die Zentralafrikanische Republik 2018 auf Rang fünf, hinter dem Südsudan, Somalia, dem Jemen und Syrien. Jedes der Nachbarländer der Zentralafrikanischen Republik, von wenigen Ausnahmen abgesehen, befindet sich momentan im Krisenzustand, was die politische Lage und die innere Sicherheit betrifft. Überall herrscht kriminelle Gewalt, die durch grenzüberschreitenden Terrorismus noch verschärft wird.
Die zentralafrikanische Krise ist sehr komplex, wird aber häufig als interreligiöser Konflikt beschrieben. Selbst wenn die Zusammensetzung der bewaffneten Gruppen und ihre Handlungen diese These teilweise stützen, ist sie dennoch zu vereinfachend und wird der Vielschichtigkeit dieses Konfliktes nicht gerecht. Genauso, wie es im Norden Christen gibt, gibt es im Süden auch Muslime. Und ebenso, wie nicht alle ehemaligen Kämpfer der Séléka, einer Koalition mehrerer muslimischer Rebellengruppen, Muslime sind, bestehen auch die sich 2013 gegen das Séléka- Milizenbündnis formierten Selbstverteidigungsgruppen der Anti-Balaka nicht nur aus Christen. Obendrein haben gewisse bewaffnete Gruppen in erster Linie gar keinen religiösen Charakter, sondern wurden aus der Notwendigkeit heraus gegründet, die gemeinsamen Interessen einer ethnischen Gruppierung zu wahren, so etwa die Fulbe, die hauptsächlich von der Rinderzucht leben und vorgeben, ihren Viehbestand zu verteidigen. Bewaffnete Gruppen formieren sich also aus verschiedenen Gründen, sei es zur Selbstverteidigung oder um ein politisches oder ökonomisches Ziel zu verfolgen. Manche lösen sich auch wieder auf. Derzeit gibt es etwa 15, deren Motive unterschiedlich sind und teilweise im Dunkeln liegen. Daraus erklärt sich zum Teil die Unfähigkeit der religiösen Führer, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.
Dennoch handelt es sich um einen Konflikt zwischen verschiedenen Gemeinschaften, der vor allem dazu führt, dass gewisse Regionen wirtschaftlich und politisch benachteiligt werden, vor allem jene im Norden, wo die Mehrheit der Bevölkerung muslimisch ist. Schon seit Langem schlägt sich dies in der starken Ethnisierung der nationalen Armee und der öffentlichen Verwaltung nieder. Sicher, es herrscht generelle Armut, aber die nördlichen Regionen sind noch stärker verarmt als andere. Diese Ungleichheit, die lange Zeit von aufeinanderfolgenden Machthabern aufrechterhalten wurde, die allesamt keinen Hehl aus ihrem Wunsch gemacht haben, für immer an der Macht zu bleiben, hat den sozialen Zusammenhalt sehr geschwächt. Diese sozialen Unterschiede sind Realität, und sie sind von Dauer.
Die Rückkehr zur Normalität erfordert daher eine Regierungsform, die die Gleichheit aller Bürger fördert, aber auch die Autorität des Staates, des einzigen Inhabers legitimer Gewalt, im gesamten Staatsgebiet bekräftigt. Bislang hat keiner der aufeinanderfolgenden Machthaber der Zentralafrikanischen Republik es jemals verstanden, die Grenzen des Landes unter Kontrolle zu halten. In Abwesenheit der Staatsmacht im Norden und einigen Grenzregionen im Süden sind diese Gebiete Rückzugs- und Transitbereiche für Milizen aus dem Tschad, aus dem Sudan und aus dem Kongo, die alles daransetzen, die Macht von Bangui zu untergraben und die Bevölkerung zu massakrieren und auszurauben. 14 der 16 Präfekturen des Landes sind ständig unter der Kontrolle bewaffneter Gruppen, die untereinander darum kämpfen, wer die Vorherrschaft über die Bergbaugebiete hat und wer die Viehbestände plündert.
Die Funktionäre der öffentlichen Verwaltung verlassen ihre Posten im Landesinneren. Die Konvois humanitärer Organisationen sind bevorzugte Ziele der Rebellen, was den Zugang zu Menschen in Not gefährlich macht. Gleichzeitig dient die Abwesenheit der Staatsmacht bewaffneten Gruppen wiederum als Vorwand: Sie behaupten, sie würden die Bevölkerung vor rivalisierenden Gruppen schützen und legitimieren so ihre Existenz vor den Menschen. Diesen bleibt keine andere Wahl, als sie zu akzeptieren.
Momentan kommt das staatliche Programm zur Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration nur schleppend voran, weil es an Mitteln fehlt und sich die Beteiligten nicht darauf einigen können, wie man am besten vorgehen soll. Schuld ist aber auch die Böswilligkeit gewisser bewaffneter Gruppen, die keinerlei Interesse daran haben, die Bergbaugebiete aufzugeben, die sie kontrollieren und munter ausbeuten. Hinzu kommt, dass das Programm zur Reform des Sicherheitssektors, das darauf abzielt, die Polizei und das Militär gut ausgebildet und ausgerüstet neu aufzustellen, nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Angesichts der Barbarei und der Grausamkeit einiger bewaffneter Gruppen, die sich jedem Gespräch verweigern und bereits geschlossene Friedensverträge einfach ignorieren, ist der Staat in einer schwierigen Situation, wenn er sie nicht mit Gewalt zur Kooperation zwingen will. Was die relative Passivität der Blauhelme betrifft, die seit 2014 im Rahmen der MINUSCA-Mission im Land sind, so muss man zugeben, dass sie nicht über die nötigen Mittel verfügen und dass sie auch nicht wirklich entschlossen sind, der Gewalt ein Ende zu setzen.
Die Unsicherheit im täglichen Leben und die Tatsache, dass Verbrecher ungestraft davonkommen, spielen eine wichtige Rolle für das Fortbestehen der Gewalt. Die aktuelle Regierung unter Faustin Archange Touadéra sieht sich starker Kritik ausgesetzt, sowohl im Land selbst als auch in diplomatischen Kreisen. Die allgemeine Vetternwirtschaft, die Korruption, die Inkompetenz, die illegale Bereicherung und der mangelnde Wille zur Veränderung sind Faktoren, die kaum geeignet sind, das Vertrauen internationaler Partner wie auch der direkten Nachbarn zu gewinnen. Die Krisen in Syrien, im Südsudan, im Kongo und in Libyen scheinen mehr und mehr die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft abzulenken. Wie viel sind die internationalen Partner und die Nachbarländer bereit, für den Frieden in Zentralafrika zu investieren? Und was haben sie davon? In dieser Hinsicht wirft die neue militärische und wirtschaftliche Partnerschaft zwischen Bangui und Moskau zum großen Missfallen seines ehemaligen französischen Verbündeten drängende Fragen auf. Muss man sich auf neue Interessenkonflikte zwischen ausländischen Partnern gefasst machen? Zur Stunde kursieren in den Gässchen von Bangui Gerüchte, wonach ein neuer Staatsstreich bevorsteht, und alles deutet darauf hin, dass die zentralafrikanische Krise nicht so bald beendet sein wird.
Aus dem Französischen von Caroline Härdter