Anfang der 1990er-Jahre eilte dem kolumbianischen Medellín ein trauriger Ruf voraus. Die Stadt galt als Hochburg der Gewalt und des Drogenhandels. Wer von Medellín sprach, der sprach von Kriminalität, von Kartellen und vom berühmtesten Sohn der Stadt, Drogenhändler Pablo Escobar.
Doch seit einiger Zeit strebt die Stadt einen Imagewandel an. Massive Investitionen in die urbane Infrastruktur und die Neugestaltung des öffentlichen Raums sollen Medellín für seine Einwohner wieder lebenswerter machen. Besonders ein Projekt steht dabei im Fokus: der Bau der sogenannten Parques Biblioteca, der »Bibliotheksparks«.
Neun dieser Bauwerke sind mittlerweile in ganz Medellín, und besonders in der Peripherie der Stadt, verteilt. Es sind weitläufige Parks, in deren Mittelpunkt immer eine öffentliche Bibliothek steht. In Vierteln, die einst von den Drogenkartellen kontrolliert wurden und in denen zum Teil noch immer Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption herrschen, wirken die Parks mit den futuristischen Gebäudekomplexen wie kleine Inseln des Fortschritts. Und genau so sind sie auch konzipiert worden. Angestoßen wurde die Idee der Bibliotheksparks von Medellíns Ex-Bürgermeister Sergio Fajardo, der inzwischen für das Präsidentenamt kandidiert. Fajardo verfolgte die Vision, seine Heimatstadt komplett neu zu denken und ihr »Antlitz zu verändern«. Juan Carlos Sánchez, der mit für die Ausgestaltung der Bibliotheksparks verantwortlich ist, fasst diese Vision so zusammen: »Es ging darum, die Atmosphäre der Angst durch eine Atmosphäre der Hoffnung zu ersetzen.« Dafür habe man zuerst dem öffentlichen Raum Würde verleihen müssen. »Für die Ärmsten das Schönste« sei die Grundprämisse der Parks gewesen.
Und so wurden gerade in strukturschwachen und lange vom Staat vergessenen Vierteln Orte des Miteinanders geschaffen – unter der Mitwirkung von weltweit anerkannten Architekten wie Giancarlo Mazzanti und Hiroshi Naito. Allerdings wurden die Grünanlagen nicht ohne die aktive Mitsprache und Partizipation der Bürger gebaut. Diese erhofften sich von dem Projekt vor allem eine aktive Freizeitgestaltung und Bildungschancen. »Wenn wir einfach nur Gebäude errichtet hätten, ohne Programme zur sozialen Inklusion, hätte das gar nichts gebracht«, erklärt Sánchez.
Deshalb kann man in den Bibliotheken heute nicht nur Bücher ausleihen, sondern auch kostenlose Veranstaltungen wie Konzerte und Lesungen besuchen, und in den Parks nicht nur entspannen, sondern auch an Sportkursen teilnehmen. Mittlerweile bilden sie eine kulturelle und soziale Achse, die sich durch die ganze Stadt zieht und Orte, an die sich früher nur Pistolenkugeln verirrten, miteinander verbindet und belebt.
Dank der Parques Biblioteca trägt Medellín heute Titel wie »Stadt des Jahres«, »Innovativste Stadt der Welt« und »Intelligenteste Stadt«. Zudem wurde die Idee auch anderswo aufgegriffen – etwa im brasilianischen Rio de Janeiro, wo der Manguinhos Bibliothekspark inmitten einer Favela errichtet wurde. Der Imagewandel Medellíns ist derweil schon weit gediehen. 1991 wurden hier 266 Morde pro 100.000 Einwohner registriert. Heute sind es noch 19. Und zum ersten Mal in seiner Geschichte gilt Medellín auch als beliebtestes Touristenziel innerhalb des Landes. Sicher, die Bibliotheksparks haben nicht alles verändert. Aber sie haben der Stadt und ihren Anwohnern tatsächlich ein Stück Würde zurückgegeben.
Aus dem Spanischen von Laura Haber