Im Jerusalemer Viertel Katamonim wurde auf Arabisch gesungen, als jüdische Familien aus Nordafrika dort Anfang der 1960er-Jahre angesiedelt wurden. Doch bald fristete die arabische Musikkultur nur noch auf Hochzeitsfeiern von Misrachim, der orientalischen Juden, ein Dasein im Schatten des Privaten. Israels etablierte Kultur fremdelte mit dem Arabischen, das die Neueinwanderer mitgebracht hatten, auch wenn Politiker wie Moshe Dayan das Arabische liebten.
In ihrem Haus in Katamonim lässt das Künstlerpaar Neta Elkayam and Amit Chai Cohen die Geschichte ihrer Familien, die einst in Marokko lebten, in Gestalt maghrebinischer Musik wiederauferstehen. In ihrem mit Zuhörern vollgepackten Wohnzimmer spielen sie Lieder, die einst weit über die jüdische Gemeinde hinausstrahlten, etwa von der marokkanischen Sängerin Zohra El Fassia, die 1962 nach Israel ausgewandert war.
Als Neta Elkayam vor fünf Jahren einen Clip mit einem bekannten Stück des algerischen Sängers Salim Halali, »Taalli«, auf YouTube stellte, wurde er auch von vielen arabischen Hörern begeistert aufgenommen, als Liebeserklärung an eine gemeinsame Kultur: »Love from Algeria«, kommentierte etwa die Userin Amira Yass das Video. Die neue Liebe zu arabischer Musik in Israel ist Ausdruck einer weiter gefassten Entwicklung, die man als levantinische Renaissance bezeichnen kann. Immer mehr Israelis nehmen sich selbst nicht als Fremde in einer feindlichen Umgebung wahr, sondern als kulturell Teilhabende in einer Region, die seit Jahrhunderten durch das Neben-und Durcheinander von Sprachen, Religionen und Kulturen gekennzeichnet ist.
Viele Israelis leben in unmittelbarer Nähe zur arabischen Nachbarschaft, zu Christen, Muslimen und Drusen an Orten wie Jaffa, Jerusalem, Nazareth. In den vergangenen zehn Jahren hat sich, anfangs fast unbemerkt, besonders in Jerusalem, eine kleine, aber hochproduktive Szene gebildet, die sich den traditionellen Musiken und Instrumenten der Region widmet und sie in neue Kontexte setzt. 2016 sprang der Funke auf ein größeres Publikum über, als es ein Song in arabischer Sprache zum ersten Mal auf Platz eins der israelischen Charts schaffte. Monatelang dröhnte »Habib Galbi« von A-wa, ein traditionelles Stück, das drei Schwestern aus einer jemenitischen Familie im Stil zeitgenössischer Dancemusic neu arrangiert haben, aus den Autoradios, den Cafés, den Lautsprechern im Minibus. »Inzwischen ist der orientalische Sound nicht nur legitim, er ist cool geworden«, sagt der DJ Amir Pe’er dazu. Man möchte sich selbst als Teil einer Kultur begreifen, die sich nicht in erster Linie als jüdisch versteht.
Die Levante, die Region der aufgehenden Sonne, umfasst die Länder des östlichen Mittelmeers und hat eine reiche Tradition an Musik (und Küche), die nun immer mehr ins Zentrum des Interesses innerhalb der israelischen Gesellschaft rückt. Die Geschichte des Labels Fortuna Records von Zack Bar, der außerdem Mitbetreiber der Bar Teder und eines kleinen Restaurants namens Port Said in Tel Aviv ist, zeigt exemplarisch, wie sich ein junges, hippes Publikum neuerdings an der eigenen lokalen Kultur, aber auch der Musikgeschichte der umgebenden Länder orientiert. Das Label machte sich mit der Wiederveröffentlichung des einzigen Albums von Grazia einen Namen. In den 1970er-Jahren hatte die junge Frau aus Jaffa ein Album für Tanzclubs aufgenommen, das traditionelle Spielweisen und Melodien mit Synthiesounds verbindet. Weil damals griechische und türkische Musik in den Clubs und auf Hochzeiten en vogue war, sang auch Grazia auf Türkisch, psychedelisch unterlegt mit Moog-Synthesizer. Damals war diese Musik ihrer Zeit weit voraus, das Album floppte. Heute ist es der Blick zurück, der Möglichkeiten des Neuen aufzeigt.