Psychedelischer Lianen-Tee

von Kenneth Tupper

Rausch (Ausgabe I/2017)


Selbstfindung, Visionen, die plötzliche Erkenntnis kosmischer Zusammenhänge und des eigenenen Platzes im Universum – der Droge Ayahuasca werden verschiedenste übernatürliche Effekte zugeschrieben. Dabei wurde der Pflanzensud, der aus der Wurzel der Banisteriopsis caapi, einer Lianenart, und den Blättern des Baumes Psychotria viridis zubereitet wird, zunächst gar nicht als pures Rauschmittel benutzt. Angehörige verschiedener Amazonasethnien machten sich das Gebräu anfangs vor allem in der Medizin zunutze. Der psychedelische Lianentee induzierte Halluzinationen, die von indianischen Schamanen interpretiert wurden, um Krankheitsursachen auf den Grund zu gehen oder die beste Heilungsmethode für ihre Patienten zu ermitteln. So erwarb sich Ayahuasca den Ruf als göttlicher Heilungstrunk und wurde unter den Menschen im Amazonasbecken auch als „pflanzlicher Lehrmeister“ bekannt.

Spätestens seit den 1950er-Jahren ist jedoch klar, dass die Wirkung von Ayahuasca nicht durch göttliche Einmischung zu erklären ist, sondern durch einfache Chemie. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass der Sud die psychoaktiv wirkenden Stoffe Harmin, Tetrahydroharmin sowie Dimethyltryptamin enthält, die neben stark bewusstseinserweiternden Effekten auch akute Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall oder Schweißausbrüche auslösen können. Je nach Dosis und körperlichem Zustand des Konsumenten kann sich durch die Verabreichung des Mittels entweder ein tiefes Ruhegefühl oder quälende Unrast einstellen.

Der Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzenden Verbreitung der Droge konnten diese Erkenntnisse jedoch keinen Abbruch tun. Für verschiedene synkretistische Religionsgemeinschaften in Lateinamerika, die Elemente des Katholizismus und indigener Spiritualität vereinten, wurde Ayahuasca zu einem wichtigen Hilfsmittel bei der Gottesfindung; in kleineren Glaubenskulten wurde es sogar als Sakrament eingeführt. Spätestens mit der Globalisierung – durch die Verfügbarkeit günstiger Flugreisen nach Lateinamerika und digitaler Informationsquellen – verbreitete sich die Kunde vom „Pflanzenlehrmeister“ dann auch jenseits des Amazonasbeckens. Heute bezahlen Touristen aus aller Welt längst viel Geld dafür, an sogenannten Ayahuasca-Ritualen teilnehmen zu dürfen. Unter der Leitung von mehr oder weniger erfahrenen Zeremonienmeistern wird der Sud mittlerweile nicht nur in Ländern wie Peru, Kolumbien und Ecuador verabreicht, sondern auch in Europa und Nordamerika. Die mehrtägigen Selbstfindungsseminare kosten zwischen 400 und 700 Euro. Die Zutaten zur Ayahuasca-Zubereitung lassen sich bereits im Internet bestellen.

Auch abseits der Rauschindustrie erregt Ayahuasca immer mehr Aufsehen. Aktuell wird in medizinischen Studien gestestet, ob es als Medikament gegen Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und andere psychische Erkrankungen eingesetzt werden kann. Auch im Kampf gegen Suchtkrankheiten versprechen sich Forscher viel von der weiteren Erforschung des Rauschmittels. Eine Klinik in Peru nutzt Ayahuasca bereits heute in der Entwöhnungstherapie. Geht dieser Trend so weiter, dann folgt die Droge höchstwahrscheinlich dem Werdegang, den viele andere indigene Pflanzenerzeugnisse vor ihr genommen haben: Man denke nur an Coca-Blätter und Coca-Cola oder die rasante Ausbreitung der globalen Tabakindustrie.

In der Heimat der „Geisterliane“ – so die wörtliche Übersetzung von „Ayahuasca“ aus dem Quechua – löst die gestiegene Popularität der traditionellen Medizin allerdings keine Jubelstürme aus. Im Gegenteil: Die westliche Aneignung von Ayahuasca sorgt im Amazonasbecken für Probleme. Viele etablierte „Rauschbegleiter“ spezialisieren sich mittlerweile darauf, Zeremonien für Touristen anzubieten. Der Ruf des Geldes lockt sie aus ihren Dörfern und Gemeinden, in denen sie allerdings nicht nur für Ayahuasca-Rituale, sondern auch die medizinische Betreuung zuständig sind – eine ernst zu nehmende Gefahr für die traditionellen Gesundheitssysteme strukturschwacher indigener Gemeinden.

Aus dem Englischen von Leon Goltermann



Ähnliche Artikel

Großbritannien (Was anderswo ganz anders ist)

Wofür Uruguayer einen zusätzlichen Muskel brauchen

von Valeria Risi

Die Uruguayer behaupten, sie hätten einen Muskel mehr als der Rest der Menschheit, und zwar an der Innenseite ihres rechten Oberarms

mehr


Iraner erzählen von Iran (Thema: Iran)

Überdosis

von Muhammad Jawad Adib

In keinem anderen Land der Welt gibt es so viele Drogenabhängige wie in Iran. Sie kommen aus allen Schichten der Gesellschaft 

mehr


Körper (Thema: Körper)

Der gesunde Rausch

von Gonzalo Cupay

Drogen: Wie peruanische Indigene natürliche Stimulantien gebrauchen

mehr


e-volution. Wie uns die digitale Welt verändert (Weltmarkt)

Putin in meiner Tasse

von Katharina Olschenka

Abgebrüht: Politiker als Teebeutelhalter

mehr


Rausch (Thema: Rausch )

„Arbeitstier und Serien-Zombie“

ein Gespräch mit Nir Baram

Warum obsessives Fernsehen die Droge der kapitalistischen Gesellschaft ist. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller

mehr


Inseln. Von Albträumen und Sehnsüchten (Thema: Inseln)

Zutritt verboten

von Shenaz Patel

Wo Touristen baden, sind Einheimische nicht mehr erwünscht. Zur Privatisierung einer Küste

mehr