Wladimir Putin, Hassan Rohani und Robert Mugabe haben eins gemeinsam: Die von ihnen regierten Staaten, ihre Unterstützer oder sogar sie selbst stehen unter internationalen Sanktionen. Seit Ende des Kalten Kriegs setzen Regierungen im Westen, aber auch die Vereinten Nationen, verstärkt auf diesen Druck von außen, um gegen gravierende Menschenrechtsverletzungen, gegen Waffenprogramme oder gegen Terrorismus zu kämpfen. Wegen der explosionsartigen Zunahme dieses Mittels bezeichnen die bekannten Sanktionsforscher David Cortright und George Lopez die 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch als „Sanktionsdekade“.
Gleichzeitig führten in dieser Zeit die katastrophalen humanitären Folgen des vollständigen Embargos der Vereinten Nationen gegen den Irak zu einem wesentlichen Umsteuern: Während die Iraker unter der Wirtschaftskrise und dem Zusammenbruch des Gesundheitswesens litten, festigte Iraks Regent Saddam Hussein seine Macht weiter und verstärkte die Unterdrückung der Bevölkerung sogar. Die USA und die Europäische Union, aber auch die Vereinten Nationen, versuchen deswegen seitdem, mit zielgerichteten Sanktionen unerwünschte Folgen der Strafmaßnahmen für die Menschen in den betroffenen Ländern zu vermeiden und Gegenkräfte in den Gesellschaften zu stärken. Diese „schlauen Sanktionen“ sollen eben nur die Regierungen, ihre Unterstützer und wichtige Wirtschaftsbereiche, aber nicht Kritiker, Konsumenten oder Künstler treffen. Auch der Kontakt zwischen den Gesellschaften soll nicht abreißen. Aber funktioniert das? Erzielen Kontensperrungen und Einreiseverbote von ausgewählten Regierungsmitgliedern die gewünschten Ergebnisse? Bleibt es Künstlern und Wissenschaftlern möglich, über Ländergrenzen hinweg an gemeinsamen Projekten zu arbeiten? Sind russische Schüler und Studenten noch immer bereit, nach Deutschland zu kommen, und deutsche nach Russland? Werden weiter Bücher aus dem Persischen ins Deutsche übersetzt?
Kurz gesagt: Schaffen es die Beziehungen in Kultur und Wissenschaft, das Schweigen auf politischer Ebene zu durchbrechen? Bleibt im Sanktionskonflikt der Kulturaustausch als Lebensader zwischen Gesellschaften mit seinen kleinen, auch ungesteuerten Verästelungen bestehen? Wir wissen bislang wenig darüber, ob Sanktionen Auswirkungen auf die kulturellen Beziehungen von Gesellschaften über Grenzen hinaus haben. Wichtig ist jedoch, dass die größte Zahl der sanktionierten Staaten, etwa vier von fünf, nicht liberal-demokratisch regiert wird. In Ländern wie Weißrussland oder Simbabwe benachteiligen die Machthaber die politische Opposition, verletzen Menschenrechte, beeinflussen die Medien und manipulieren Wahlen. In Einparteienstaaten wie Nordkorea oder China ist gar keine Opposition zugelassen. Kulturpolitik ist oft Herrschaftsmittel. In diesem Umfeld ist der Spielraum für kritisch-kreative Kultur von vornherein beschränkt und Kontakte zur Außenwelt unterliegen enger Kontrolle.
Besonders deutlich ist das in Iran: Seit der Kulturrevolution 1979 vertritt der iranische Staat einen islamischen Kulturbegriff, der auch seine internationalen Beziehungen prägt. Die wichtigste Institution der Kulturpolitik ist das Ministerium für Kultur und Islamische Führung (Erschad), dem auch eine Zensurabteilung angegliedert ist. Das heißt, dass Kultur von der Regierung vor allem religiös definiert ist und westliche Kultur kritisch gesehen wird.
In Weißrussland haben sich durch die staatliche Repression zwei verschiedene kulturelle Sphären ausgebildet, zum einen die staatlich geförderte Kultur, die sich in den engen, vom Regime abgesteckten Grenzen bewegt, und zum anderen die „freie“ Kulturszene, die unabhängig vom Staat agiert. Jedoch leidet diese unter staatlichen Vorgaben und Kontrollen. Auch in Russland sind Künstler, Wissenschaftler und Kulturschaffende oft mit Einschränkungen konfrontiert, insbesondere, wenn sie sich kritisch gegenüber dem Kreml äußern. Die russische Regierung schränkt die Zusammenarbeit russischer Nichtregierungsorganisationen mit internationalen Partnern massiv ein; seit im Jahr 2012 ein „Agentengesetz“ verabschiedet und seitdem mehrfach verschärft wurde, sehen sich Organisationen, die Fördermittel aus dem Ausland erhalten, einem Generalverdacht ausgesetzt. In allen diesen Ländern hat eine unabhängige, „freie“ Kulturszene – auch ohne Sanktionen des Westens – also nur wenig Luft zum Atmen. Die Unterdrückung durch den Staatsapparat, die oft gerade der Auslöser von Sanktionen durch den Westen ist, übt somit bereits einen entscheidenden Einfluss auf das kulturelle Leben in den sanktionierten Ländern und deren Beziehungen zum Westen aus.
Jedoch darf man die oft unbeabsichtigte Wirkung von Sanktionen auf den Kulturbereich und kulturelle Beziehungen nicht unterschätzen. Zum einen beeinträchtigen sie die Wirtschaft des Ziellandes. So verhängte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2006 umfassende Sanktionen gegen Iran, da massive Zweifel am friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms bestanden. Der Handel mit Nukleartechnologie wurde verboten, Einreisesperren ausgesprochen und das ausländische Vermögen von beteiligten Firmen und Personen eingefroren sowie zuletzt ein Waffenembargo ausgesprochen. Vor allem die USA und die EU verschärften die Maßnahmen im Lauf der Zeit immer weiter. Dies führte schließlich zu vollständigen Importsperren für iranisches Öl und Gas sowie den Ausschluss Irans aus dem weltweiten Bankensystems SWIFT.
Die Nuklearsanktionen haben durch ihren Einfluss auf die Wirtschaft indirekt auch den Kulturbereich getroffen. Die abgewertete Währung, die Finanzsanktionen und der Ausschluss aus dem internationalen Geldtransfersystem führten laut der Autorin Mehrnaz Shahabi zu Finanzierungsnot von Zeitschriften, da sich der Papierpreis verfünffachte. Das nationale Sinfonieorchester und das Sinfonieorchester Teheran konnten ihre Musiker monatelang nicht bezahlen und das Publikum fehlte, weil Kunst und Kultur zum Luxusgut wurden. Der Galerist Till Breckner, der im Frühjahr 2015 im Teheran Museum of Modern Art eine Otto-Piene-Ausstellung organisierte, stellte fest, wie schwer es war, Leihgeber, Versicherer und Transporteure für die Kunstwerke zu finden. Auch die finanzielle Abwicklung der Ausstellung sei aufgrund der Sanktionen problematisch gewesen.
Sanktionen verstärken offenbar auch das Misstrauen der Behörden bei der Visaerteilung für Künstler und Wissenschaftler und erschweren damit die künstlerische Zusammenarbeit. Beide Seiten prüfen die Anträge genauer und verlangen mehr Nachweise. Oft bedarf es dazu nicht einmal eines formalen Erlasses. Nach Einschätzung von Gesprächspartnern sind russische Beamte bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für ausländische Künstler und Autoren zurückhaltender geworden. Zudem erhalten Langzeitfreiwillige in Russland nur noch Dreimonatsvisa und müssen somit alle drei Monate ausreisen, was mit enormen Kosten verbunden ist. Dies hat laut Ute Weinmann von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zur Folge, dass sich immer mehr westliche Träger gegen die Entsendung von Freiwilligen nach Russland entscheiden.
Ähnliches zeigte sich, als die Europäische Union im Jahr 2003 nach der Festnahme von 75 Dissidenten diplomatische Sanktionen gegen die kubanische Regierung verhängte. Sie reduzierte offizielle Besuche, schränkte die Teilnahme von Mitgliedstaaten an kulturellen Ereignissen in Kuba ein und lud kubanische Dissidenten sowie Ehepartner von politischen Gefangenen an Nationalfeiertagen von EU-Mitgliedstaaten in die Botschaften ein. Aufgrund ihrer Beschränkung auf den repräsentativen diplomatischen Bereich wurden die EU-Sanktionen oft verächtlich „Cocktail Party Wars“ genannt. Die Maßnahmen erbosten die kubanische Regierung um Fidel Castro allerdings dermaßen, dass sie in der Folge Entwicklungshilfezahlungen zurückwies und Kulturschaffenden regelmäßig die Ausreise zur Teilnahme an Veranstaltungen in Europa verweigerte.
Noch wichtiger scheint die mentale Wirkung von Sanktionen auf Künstler und Kommunikatoren zu sein. Regierungskritische Stimmen können die Maßnahmen als Unterstützung von außen wahrnehmen. Andererseits können diese Maßnahmen auch als Zeichen gedeutet werden, dass die EU und Deutschland die Tür zumachen, und so eine Wagenburg-Mentalität schaffen und dafür sorgen, dass sich die Bürger mit der Regierung solidarisieren. Sie tragen damit auch zu einem konfrontativen Klima bei. In Russland, Iran und Kuba wurden viele Bürger enttäuscht und Kulturschaffende durch Sanktionen entmutigt.
Das veränderte Gesprächsklima und die Grundstimmung gegenüber dem Westen haben dazu geführt, dass es in Russland weniger opportun ist, Veranstaltungen mit westlichen Gästen oder Partnern durchzuführen. Jörn Achterberg, der Leiter des Büros der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Russland, stellt fest, dass die Wissenschaft ein ungebrochen geförderter Bereich der russisch-deutschen Beziehungen sei. Gleichzeitig konstatiert er aber auch, dass es schwieriger geworden sei, Neues anzuschieben. Demgegenüber führen neben dem Goethe-Institut sowohl politische als auch private Stiftungen, zum Beispiel die Robert-Bosch-Stiftung, die Mercator-Stiftung oder die Volkswagen-Stiftung, russlandbezogene Programme durch, die ganz verschiedene Bereiche des kulturellen Austauschs fördern, darunter die wissenschaftliche Kooperation, Freiwilligenarbeit oder Film- und Literaturprojekte. Sie versuchen damit, einer Funkstille zwischen Deutschland und Russland entgegenzuwirken. Auf offizieller russischer Seite hingegen ist das Gegenteil beobachtbar: Der Austausch wird oft erschwert und Sanktionen werden instrumentalisiert, um Kontakte zurückzufahren.
Schließlich können internationale Sanktionen unbeabsichtigt zur zentralen Legitimationsressource für das sanktionierte Regime werden und von hausgemachten Krisen ablenken. Die iranische Regierung versucht seit 1979 nicht nur die wirtschaftlichen Effekte von Sanktionen herunterzuspielen, sondern auch den äußeren Druck in sein ideologisches Narrativ einzubauen, gemäß dem die westlichen Staaten Irans Entwicklung verhindern und die Souveränität des Landes unterminieren wollen.
Vor allem seit seiner erneuten Wahl im Jahr 2012 nutzt Russlands Präsident Putin die Sanktionen, um das Freund-Feind-Narrativ weiter auszubauen, und erhöht damit auch den Druck auf kulturelle und akademische Einrichtungen, die Verbindungen zum Westen zu kappen. Sanktionen sind damit ein wesentliches Legitimierungselement für die russische Regierung und deren These, dass der Westen Russland klein halten wolle.
Westliche Staaten geraten damit in ein klassisches Dilemma: Einerseits können sie gravierende Menschenrechtsverletzungen und Gefährdungen ihrer Sicherheit nicht unbeantwortet lassen, andererseits befeuern auch zielgerichtete Sanktionen einen Freund-Feind-Diskurs, der den Machterhalt der sanktionierten Regime stärken kann.
Sanktionen sollten stets Mittel und nicht Selbstzweck sein. Laut Außenminister Frank-Walter Steinmeier geht es „nicht darum, ein Land in die Knie zu zwingen“, sondern mit Sanktionen zu einer Verhaltensänderung des Gegenübers beizutragen. Zentrales Ziel ist es demgemäß, den Gesprächsfaden zwischen Gesellschaften nicht abreißen zu lassen, sondern gerade zu stärken. Sanktionen tragen zu einem konfrontativen Klima bei, auch hinsichtlich der kulturellen Zusammenarbeit, und verstärken ein Ihr-Wir-Denken, welches die kulturelle Kooperation erschwert. In der Folge ist die Zusammenarbeit mit ausländischen Kulturschaffenden und Institutionen immer weniger opportun. Sanktionen erleichtern damit auch das Ausschalten unliebsamer zivilgesellschaftlicher und kultureller Aktivitäten.
Auffällig ist jedoch, dass in Sanktionskonflikten nicht politisch konnotierte Themen des Kulturaustauschs geringeren Beschränkungen unterliegen – als Beispiel seien die verschiedenen gemeinsamen Museumsausstellungen und Kulturjahre mit Russland genannt. Wiederholt äußern Experten die Einschätzung, dass man es mit „klassischen“ Themen, die einem engen Kulturverständnis folgen, leichter habe. Auch gibt es Stiftungen und Kulturschaffende, die sich bewusst auf wenig kontroverse Themen konzentrieren. Jedoch sollte man stets im Blick behalten, nicht nur mit staatlichen Stellen zu kooperieren, sondern gerade auch – soweit möglich – unabhängige Kulturschaffende zu stärken. Natürlich sind dem in autoritären Staaten, in denen von oben Genehmigungen erteilt werden, enge Grenzen gesetzt, und oberste Maßgabe muss stets sein, Künstler und Kommunikatoren vor Ort nicht zu gefährden. Deutsche Organisationen könnten jedoch noch mehr Mut zeigen, Projekte außerhalb des klassischen Kanons zu unterstützen. Der „shrinking space“ für den Bereich der kulturellen Kooperation und die Verhärtung der Positionen muss angesichts einer Sanktionierung immer mitgedacht werden. Als deutliches Signal von außen können auch zielgerichtete Sanktionen weitere, nicht beabsichtigte Folgen haben. Das heißt zum einen, dass bei jeder Sanktionierung klar kommuniziert werden sollte: Es geht nicht darum, was ihr seid, sondern was ihr tut. Zum anderen sollte eine verstärkte Unterstützung der Beziehungen in Kultur und Bildung Teil eines jeden Sanktionspakets sein. Denn: Kulturaustausch durchbricht das Schweigen.
Christian von Soest war als Experte für das ifa-Forschungsprogramm „Kultur und Außenpolitik“ tätig. Erfahren Sie mehr unter www.ifa.de/forschungsprogramm.