Ich wurde 1949 in Mogadischu geboren. Als 1991 in Somalia der Bürgerkrieg ausbrach, bin ich nach Libyen geflohen. Dort habe ich für ausländische Ölfirmen gearbeitet – als Koch, Putzkraft und in der Verwaltung. Ich lebte in Tripolis, aber zwei bis drei Monate im Jahr verbrachte ich in der Wüste, wo das Öl gefördert wird. An den Wochenenden konnte ich mit dem Auto ans Meer fahren. Es war ein gutes Leben. Ich habe genug verdient und hatte viel Spaß. In Libyen habe ich auch meine Frau geheiratet. Sie stammt auch aus Somalia und zusammen haben wir fünf Kinder, das jüngste ist 16 Monate, das älteste elf Jahre alt. Anfang 2011 brach in Libyen der Krieg aus. Wir hatten große Angst, weil ganz in der Nähe unseres Hauses gekämpft wurde. Die Explosionen waren so nah, dass sämtliche Fensterscheiben zersplitterten. Bekannte schlugen mir vor, mit ihnen in eine andere Gegend des Landes zu fliehen.
Aber meine Frau war sehr ängstlich. Sie wusste aus Somalia, was Krieg bedeutet. Also entschlossen wir uns, die Gefahr einer Seereise auf uns zu nehmen, und mit dem Boot nach Italien zu fliehen. Ich hatte keine großen Erwartungen an das Leben in Europa, ich wollte einfach nur weg vom Krieg. Die Fahrt dauerte zwei Tage und war sehr gefährlich, denn auf dem Boot gab es keine Sicherheitsvorkehrungen. Außer uns waren ungefähr 500 weitere Flüchtlinge an Bord, darunter viele Algerier und Bangladeschler. Als wir noch etwa drei Stunden von der italienischen Küste entfernt waren, entdeckte uns ein Flugzeug der Küstenwache. Sie schickte mehrere Boote, die uns ans Ufer eskortierten. An Land bekamen die Kinder etwas zu essen und wir konnten uns waschen und ausruhen. Am nächsten Tag wurden wir nach Foggia geflogen, wo wir für vier oder fünf Monate in einem Lager für Asylbewerber untergebracht wurden. Ich wurde von einer Kommission befragt und erhielt schließlich einen Flüchtlingsstatus.
Man fragte mich, ob ich Hilfe bräuchte, einen Wohnort zu finden. Da ich keine Arbeit hatte und nicht wusste, wo ich hingehen sollte, sagte ich zu. Uns wurde ein Haus in Riace zugeteilt. Ich hatte keine Ahnung, wo Riace war. Aber ich war froh, mich irgendwo niederlassen zu können, damit die Kinder wieder ein normales Leben führen und zur Schule gehen konnten. Einzig aus diesem Grund war ich schließlich nach Italien gekommen. Wir bekamen Zugfahrkarten, mit denen wir nach Riace fuhren. Am Bahnhof wurden wir von Stefania, einer Mitarbeiterin der Associazione Città Futura, einer lokalen Flüchtlingsorganisation, in Empfang genommen. Sie zeigte uns das Haus, in dem wir leben sollten. Es war sehr groß und es gab dort alles, was wir brauchten: drei Zimmer, einen Fernseher, alles war da, sogar Besteck! Ich fragte meine Kinder: „Na, wie gefällt es euch hier?“ Und sie sagten: „Wir sind glücklich, Papa.“ Was will man mehr?
Am nächsten Tag sollte ich mich im Büro der Associazione melden. Dort traf ich Caterina, die mir das Programm erklärte, zum Beispiel die Sache mit dem Geld. Pro Familienmitglied würden wir 190 Euro im Monat bekommen. Da die Fördergelder für das Flüchtlingprojekt regelmäßig neu beantragt und oft erst nachträglich gezahlt werden, hat der Bürgermeister in Zusammenarbeit mit der UNO-Flüchtlingshilfe eine regionale Währung eingeführt. Damit können wir innerhalb von Riace unsere Einkäufe machen. Später tauschen die Ladenbesitzer das Riace-Geld gegen „echtes Geld“ um. Wenn uns etwas im Haushalt fehlt, besorgt die Organisation es für uns. Vor zwei Wochen habe ich angefangen, einen Tag in der Woche für die Cittá Futura als Dolmetscher zu arbeiten. Ich übersetze aus dem Arabischen und dem Englischen ins Italienische. Italienisch habe ich schon in Mogadischu gelernt. Dort habe ich in einem Hotel gearbeitet, in dem viele italienische Geschäftsmänner gewohnt haben. An den Vormittagen gehe ich zur Schule, um mein Italienisch, besonders das schriftliche, weiter zu verbessern.
Das Leben in Riace ist anders als das Leben in Tripolis. Tripolis ist eine große Stadt und man hat dort immer eine Arbeit gefunden. Riace ist ärmer und es gibt kaum Jobs, nur einige wenige im Tourismus. In Riace Marina, das am Meer liegt, ist es besser. Dort gibt es Bars. Weil ich kein Auto habe, komme ich nicht so viel herum, aber es gibt einen Bus nach Riace Marina. Ich werde versuchen, im Sommer einmal dorthin zu fahren. Eigentlich ist mir mein eigenes Leben egal. Wichtig ist nur, wie es meinen Kindern geht. Drei gehen in die Schule, eins in den Kindergarten, das dritte ist noch ein Baby. Sie haben genug zu essen, zweimal in der Woche gehen sie in den Sportverein und einmal zum Schwimmen. Sie sprechen schon sehr gut Italienisch, viel besser als ich.
In Riace herrscht Frieden und das Leben ist gut. Die Kinder haben viele Freunde aus der Schule und der Nachbarschaft. Sie spielen mit Flüchtlingskindern genauso wie mit Kindern, die aus dem Dorf stammen. Mit den Italienern habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Unsere Nachbarn sind sehr nett und fragen uns oft, wie es uns geht. Ich habe hier noch nie einen schlechten Menschen getroffen. Ich bin Moslem, wie viele der anderen Flüchtlinge hier. Wir beten zu Hause, eine Moschee gibt es noch nicht, dafür sind wir zu wenige. Im Dorf hatte ich wegen meiner Religion bisher keine Probleme. Ich werde respektiert. Auch die anderen können sich nicht beklagen. Wir leben hier unter sehr guten Bedingungen. Die Flüchtlinge, die in den umliegenden Dörfern leben, bekommen viel weniger Geld.
Wir haben großes Glück, aber es gibt Leute, die immer mehr wollen. Trotzdem wäre es schön, wenn ich irgendwann genug verdienen könnte, um zu sparen und meinem Bruder und meiner Schwester etwas Geld zu schicken. In fünf Monaten läuft das Flüchtlingsprojekt aus und wir werden sehen, was dann wird. Falls das Projekt verlängert wird und ich einen Weg finde, den Lebensunterhalt für mich und meine Familie zu verdienen, würde ich gern in Riace bleiben. Wenn es irgendwann in Somalia friedlich und sicher ist, würde ich aber auch gern dorthin zurückkehren.
Protokolliert von Lorenzo Pezzani
Aus dem Englischen von Stephanie Kirchner