Editorial

von Jenny Friedrich-Freksa

Im Dorf. Auf der Suche nach einem besseren Leben (Ausgabe II/2012)

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Foto: Max Lautenschläger


In einem Dorf zu leben, heißt, in der Erde zu wühlen, morgens Hähne krächzen zu hören und nachts die Sterne zu sehen. Es kann bedeuten, ständig von den Nachbarn beobachtet zu werden oder in drei Minuten völlig allein zu sein.

Alle reden von der Stadt. Metropolen boomen und erbringen manchmal mehr Wirtschaftsleistung als das Land drum herum. Aber was passiert eigentlich im Dorf? Seit 2008 leben mehr Menschen weltweit in Städten als auf dem Land. Dorfbewohner verlassen ihre Heimat, um anderswo ihr Glück zu suchen. Der kanadische Journalist Doug Saunders beschreibt diese größte Wanderbewegung in der Geschichte der Menschheit und erklärt, wie sie nicht nur die Städte verändert, sondern auch die Dörfer. Kaum eines kann mehr ohne die Verbindung zur Stadt überleben.

In Bangladesch, Pakistan, China und Indien leben knapp die Hälfte aller Dorfbewohner weltweit. In Kuwait oder Belgien hingegen wohnt kaum mehr ein Mensch auf dem Land. Während in den armen Ländern im Süden und Osten die Menschen aus purer Not ihre Dörfer verlassen, lässt sich in den reichen westlichen Ländern ein entgegengesetzter Trend beobachten: Wohlstandsmigration. Wer es sich leisten kann, zieht wieder ins Grüne, ebenfalls auf der Suche nach einem besseren Leben: mehr Natur, mehr Ruhe, weniger Komplexität. Der polnische Autor Andrzej Stasiuk glaubt an die Kraft weiter Landschaften. Nur in der Leere, so schreibt er, könne Neues entstehen. Die Regisseurin Alice Schmid berichtet, wie in Schweizer Bergdörfern Kinder in die Schule fahren: mit der Seilbahn. Und Thomas Hyndman erzählt, wie es ist, wenn ein 65-Seelen-Dorf in Schottland einen Nachbarn beerdigt.

Kürzlich bin ich durch ein sehr kleines brandenburgisches Dorf gekommen. Jemand hatte dort einen mannshohen Hinkelstein im Garten stehen – eine Idee, für die in der Stadt einfach kein Platz ist.



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