Ich finde es witzig, gleich alt, beziehungsweise jung zu sein, wie der ukrainische Staat. Ich bin am 18. August 1991 geboren, fünf Tage vor der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine.
Eines Tages bin ich zu meiner Mutter gekommen und habe erklärt: „Mama, ich will Designerin werden.“ Meine Mutter ist beinahe vom Stuhl gefallen. Aber als eine professionelle Designerin meinte, ich hätte Begabung, sagte sie „ok“. Mein Bruder und ich haben überhaupt selten Probleme mit unserer Mutter. Sie ist Journalistin, muss sehr viel arbeiten und hat keine Zeit, um sich in unser Leben einzumischen. Es ist so: Ich verstehe, dass sie viel zu tun hat, und sie versteht, dass ich als Designstudentin auch viel zu tun habe.
Bei uns macht man das Abitur mit 17 Jahren, ich war aber erst 16, als ich meinen Abschluss gemacht habe. Ich bin früher eingeschult worden, weil mein Vater gestorben ist, als ich fünf war, und es für meine Mutter leichter war, beide Geschwister in einer Klasse zu haben. Ich finde es toll, so jung zu sein – dadurch werde ich später mehr Zeit haben. Wenn keine Katastrophen passieren, bin ich mit 21 Jahren mit dem Studium fertig. Dann möchte ich so arbeiten wie eine Freundin meiner Mutter, die eine sehr erfolgreiche Raumdesignerin ist, ein echter Profi, sie reist viel, hat interessante Aufträge, tut nur das, was ihr Spaß macht und verdient dabei auch ziemlich gut. Ich finde, dass gerade Designer ihren Beruf sehr ernst nehmen sollten, denn sie gestalten doch unseren Lebensraum.
Das meiste, was man heute an moderner Innen- und Außenausstattung sehen kann, nervt. Viele meiner Kommilitonen sind bereit, sich dem Geschmack der reichen Auftraggeber anzupassen. So entstehen dann all diese vergoldeten Säulen und Samtvorhänge kombiniert mit Plastikfenstern. Ich werde meine künftigen Kunden erziehen, ihnen zeigen, wie man einen Raum geschmackvoll, einfach, aber doch auch eventuell teuer – denn das wollen die meisten! – gestalten kann.
Mich nervt die Korruption im ukrainischen Bildungssystem sehr. Meine Freunde und ich haben gelernt, ihr zu widerstehen. Es geht meistens um Fächer, wie Philosophie, Kunstgeschichte oder Geschichte der Ukraine. Da ist es für die meisten leichter, dem Dozenten für die Note ein paar Hrywnja zu bezahlen, als den ganzen Stoff zu lernen. Wahrscheinlich arbeiten meine Freunde und ich 20 Stunden mehr als die anderen pro Semester, aber das macht uns nichts aus. Am Ende bekommen wir echte Noten – ganz einfach und ohne Geld. Das zeigt: Man kann in der Ukraine auch ohne Schmiergeld studieren, wenn man will.
Ich denke, in zehn Jahren wird die Ukraine der EU beitreten. Sie wird ukrainisch bleiben, aber es wird besser und leichter sein, hier zu leben. Die Menschen werden das Land nicht mehr so massenhaft verlassen. Und wir werden uns noch weiter von Russland und von unserer sowjetischen Vergangenheit entfernen. Die Welt wird zusammenwachsen, davon bin ich überzeugt. Es wird keine Kriege mehr geben. Ich habe sowieso die Logik der Kriege nie begriffen. Die Welt wird einsehen, dass Kriege einfach sinnlos sind.
Ich möchte Patriotin bleiben, in meinem Land leben, hier arbeiten und versuchen, es zu entwickeln. Ich habe Angst vor der totalen Russifizierung unseres Landes. Ich bin Mitglied der ukrainischen Jugendorganisation „Das Erbe“. Ihr Ziel ist es, ukrainische Kinder und Jugendliche im patriotischen Geist zu erziehen, und damit sie die ukrainische Sprache nicht vergessen, dazu zu bringen, ukrainische Bücher zu lesen. Wir versuchen das kleine bisschen vom Ukrainischen zu retten, was nach vielen Jahren Sowjetregime übrig geblieben ist. Wir machen das nicht mit Gewalt, nicht aufdringlich, sondern so, dass es den Kindern Spaß macht und sie selbst dazu kommen, das Ukrainische zu mögen und zu pflegen.
Wenn man mich fragt, wer ich bin, ist das erste, was mir spontan einfällt, mein Pseudonym. Das hat bei uns jeder in der Organisation. Mein Pseudonym lautet „Letawytsia“ – es ist eine Figur aus der ukrainischen heidnischen Mythologie. Es ist ein Geist, ein Mädchen, das im Wald lebt, eine Erscheinung der Morgendämmerung. Mit dem ersten Sonnenstrahl verschwindet sie. Ein schönes Wort, hat etwas Frisches, Leichtes, Luftiges.
Protokolliert und aus dem Ukrainischen übersetzt von Olha Sydor