Frau Sabatini, woran denken Sie, wenn Sie sich an die Zeit erinnern, als Sie 17 Jahre alt waren?
Mit 17 hatte ich eine schwere Zeit. Ich wusste nicht, ob ich weiter Tennis spielen sollte. Ich dachte ans Aufhören. Das hatte keinen konkreten Anlass. Ich glaube, ich kam einfach in eine Phase, die alle Jugendlichen in diesem Alter erleben. Man zweifelt daran, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Mein Leben bestand damals fast nur aus Tennis, und ich fragte mich: Ist das wirklich das, was ich will? Gibt es andere Dinge, die ich in Zukunft machen könnte? Irgendwann war ich mir sicher: Ich will weiter Tennis spielen. Aber zu dieser Entscheidung zu kommen, das war ein schwieriger Prozess. Das ergab sich nicht von selbst.
Wenn Sie eine andere Entscheidung getroffen hätten, was würden Sie dann heute tun?
Es ist wirklich schwer zu sagen, welchen Weg mein Leben genommen hätte. Aber ich bin mir sicher: Ich hätte eine andere Karriere gewählt und sie mit derselben Intensität und Leidenschaft verfolgt. Aber wenn ich heute noch mal an diesen Punkt käme, dann würde ich mich sicher wieder fürs Tennis entscheiden.
Sie waren mit 17 bereits eine sehr erfolgreiche Tennisspielerin – 1986 zogen Sie als jüngste Spielerin ins Halbfinale von Wimbledon ein. Was haben Sie damals über ihre sportlichen Erfolge gedacht?
Mir war die Bedeutung meiner Siege nicht bewusst. Ich hatte damals ja schon einige Turniere gewonnen, mit 16 stand ich in Wimbledon im Halbfinale. Aber in der Situation selbst habe ich das nicht realisiert. Wenn du auf dem Platz stehst, dann gibt es nur eins: Du musst dein Bestes geben. Wenn du anfangen würdest, darüber nachzudenken, würdest du dir selbst zu viel Druck machen. Ich habe mich damals auf das konzentriert, was vor mir lag. Ich dachte nicht daran, was noch alles kommen könnte oder was ich alles geschafft hatte. Es ging nur um das nächste Spiel.
Gab es keinen Punkt, an dem Sie selbst Bilanz gezogen haben?
Das kam erst später. Hinterher, als ich schon älter war, bin ich mir darüber bewusst geworden, was ich alles geleistet hatte. Und dann habe ich mir gesagt: „Wow, du warst so jung damals und so erfolgreich!“ Wenn man tief in einer Sache steckt, dann fällt es einem schwer, sich ein Bild des Ganzen zu machen. Man braucht erst einen anderen Standpunkt, um es wirklich beurteilen zu können.
Wie war es für Sie, in so jungen Jahren so stark im öffentlichen Interesse zu stehen?
Das habe ich damals ausgeblendet. Ich habe es selbst zuerst auch gar nicht wahrgenommen. Das Interesse an mir fing ja schon an, als ich 13 Jahre alt war. Ich gewann das Turnier Orange Bowl der Unter-18-Jährigen. Plötzlich war ich auf Platz 1 der Weltrangliste der Jugendlichen. Als ich aus Argentinien wegflog, um an dem Turnier teilzunehmen, kannte mich noch niemand. Als ich dann wieder auf dem Flughafen in Buenos Aires landete und durch die Schranke in die Ankunftshalle ging, sah ich dort sehr viele Menschen, die auf jemanden warteten. Ich habe gar nicht verstanden, auf wen sie warteten, drehte mich nach links und rechts und dachte, wer wird wohl heute angekommen sein? Als ich näher kam, sah ich, dass sie alle auf mich warteten …
Gab es auch Dinge, die Sie an dem plötzlichen Ruhm gestört haben?
Eigentlich wenig. Das Feedback der Leute war toll. Die Menschen feuerten mich an. Das gab mir sehr viel Kraft, die Menschen hinter mir zu wissen. Was mir allerdings als Jugendlicher zu schaffen gemacht hat, war das, was manche Journalisten über mich schrieben. Ich wusste damals noch nicht, wie ich mit dem umgehen sollte, was Leute, die mich gar nicht kannten, über mich schrieben. Manchmal schlug ich die Zeitung auf und musste über mich lesen: Gabriela trainiert zu wenig, Gabriela benimmt sich nicht richtig auf dem Platz. Gerade in so einer Phase, in der man an seinem Weg zweifelt, verunsichert das noch mehr.
Sie galten als eine der schönsten Spielerinnen auf dem Platz. Wie haben Sie sich selbst als Frau gesehen?
Ich habe diese ganzen Kommentare über mein Aussehen als nette Komplimente aufgefasst – nicht mehr und nicht weniger. Es war auf jeden Fall nichts, was mich in dem Augenblick besonders beschäftigt hätte. Ich konzentrierte mich aufs Tennis. Ich achtete nicht darauf, dem Bild einer schönen Spielerin zu entsprechen. Wenn ich auf den Platz ging, dann nicht, um eine gute Figur zu machen, sondern um gutes Tennis zu liefern.
Sie sind schon als Jugendliche viel gereist. Hat das Ihren Blick auf die Welt verändert?
Das war anders als bei den anderen Mädchen in meinem Alter. Mit 17 war ich schon um die halbe Welt gereist. Aber es ist auch eine große Maschinerie: Von Woche zu Woche packst du deine Koffer und fliegst in ein anderes Land. Du spielst und ein paar Tage später bist du schon wieder woanders. Erst wenn man zu spielen aufgehört hat, denkt man darüber nach. Dass ich alle diese Orte sehen konnte, hat meinen Horizont enorm erweitert und ich konnte auch meine Heimat mit neuen Augen sehen. Die Möglichkeit, Orte und ihre Sitten und Gebräuche, ihre Kultur kennenzulernen, ist etwas, was dich geistig wachsen lässt. Am Ende meiner Karriere war ich aber auch erschöpft vom Reisen, von dieser Art des Reisens, die mit der Arbeit verbunden war und die ich vielleicht nicht so genießen konnte, wie ich gewollt hätte. Heute reise ich anders: Es ist mir wichtig, mich zu entspannen und die Orte, die mich wirklich interessieren, zu besichtigen.
1996 haben Sie Ihre Profikarriere beendet. Hatten Sie in dem Moment das Gefühl, Sie müssten Dinge nachholen, die Sie als Jugendliche nicht tun konnten wegen des Tennis?
Als ich mit dem Tennis aufhörte, war mir der Sport zu einer großen Last geworden. Ich wollte frei sein, ein normaleres Leben führen. Das fing schon bei ganz einfachen Dingen an, wie abends später ins Bett gehen zu können. Wenn man Tennis spielt, hat man einen schnellen Rhythmus und jeder Tagesablauf ist ungefähr gleich. Solange einem das gefällt, macht man das mit und ist glücklich. Aber ich hatte immer mehr das Gefühl, dass mir das Tennis keinen Spaß mehr machte. Dass es mich belastete. Ich wachte morgens auf und dachte, oh, du musst heute trainieren und du hast gar keine Lust darauf. Es verlangte immer größere Opfer von mir, Tennis zu spielen. Irgendwann habe ich das Tennis auch gehasst. Doch dann habe ich mir gesagt: Halt, hier läuft was falsch, ich muss in mich gehen. Ich wendete mich an einen Sportpsychologen. Ich bat ihn, mir zu helfen, mir zu erklären, was mit mir geschah. Ich war nicht glücklich. Die Leute sahen mir das auf dem Platz an. Der Sportpsychologe forderte von mir, bis an meine Grenzen zu gehen. Ich sollte sehen, was mir das Tennis bedeutete, mir vorstellen, ob es mir etwas ausmachen würde, aufzuhören. Ich merkte dann, dass ich nicht mehr spielen wollte.
Sie waren eine der ersten Sportlerinnen, die ihr eigenes Parfum kreierte. Wie kamen Sie darauf?
Relativ am Anfang meiner Karriere fing die Sache mit den Parfums an. Die deutsche Firma Mülhens kam auf mich zu und schlug mir vor, ein Parfum mit meinem Namen zu kreieren. Mir gefiel der Gedanke, denn es gab mir die Gelegenheit, eine andere Facette von mir zu zeigen, mich mit meiner weiblichen Seite zu beschäftigen. Ich fing selbst an, Parfums zu benutzen. Noch während der Turniere schickte mir die Firma unterschiedliche Duftstoffe. Ich sollte ausprobieren, welche mir am besten gefielen. Das war 1987, 1989 kam das Parfum dann auf den Markt. Seit 20 Jahren beschäftige ich mich nun mit Parfums, aber erst seit ich aufgehört habe zu spielen, kann ich mich richtig um die Promotion kümmern.
Den Kontakt zum Sport haben Sie bis heute nicht verloren. Was denken Sie, wenn Sie heute die angehenden Tenniscracks sehen?
Bis vor Kurzem habe ich ein Programm unterstützt, das der argentinische Tennisverband für Jugendliche von 12 bis 18 Jahren eingerichtet hat. Es ist ein Programm, bei dem mehrere Trainer unterschiedliche Städte in Argentinien besuchen, um sich junge Spieler anzusehen und sie dann nach Buenos Aires einzuladen, um mit ihnen zu trainieren. Wenn ich heute die Jugendlichen sehe, die Tennisspieler werden wollen, dann sehe ich vor allem die Anstrengungen, die sie auf sich nehmen. Manche wohnen in Städten, die zwei Stunden von Buenos Aires entfernt sind. Sie stehen um 5 Uhr morgens auf, um zum Training zu fahren. Danach fahren sie wieder zurück und gehen zur Schule. Das ist ein großes Opfer, das die Jugendlichen bringen. Ich will ihre Begeisterung für den Sport unterstützen, ihnen helfen, wo ich kann. Ich selbst verdanke dem Tennis so viel. Bis heute weiß ich nicht, wie ich es schaffen konnte, so tief in die Herzen der Menschen zu gelangen. Es berührt mich immer noch, wenn fremde Menschen auf mich zukommen und sagen, danke, Gabriela, für alles, was du mir gegeben hast. Ich sage: Ich habe zu danken. Nämlich dafür, dass mir das Tennis erlaubt hat, so etwas bei den Menschen auszulösen.
Frau Sabatini, was machen Sie eigentlich heute?
Ich führe ein ganz normales Leben. Ich habe nur mehr Zeit als früher. Und die verbringe ich gemeinsam mit den Menschen, die ich liebe. Einen Teil meines Tages bin ich natürlich auch mit meinen aktuellen Arbeitsprojekten beschäftigt und ich liebe es, jeden Tag Zeit zu haben, um Sport zu treiben.
Das Interview führte Timo Berger