Herr Major, Sie waren von Ende 2009 bis März 2010 als sogenannter CIMICer, also „Beauftragter“ für Zivil-Militärische Zusammenarbeit, in Afghanistan, genauer im Wiederaufbauteam Feyzabad. Was ist Ihr persönliches Resümee aus diesem Einsatz?
Es war eine positive Erfahrung, menschlich gesehen. Wir können dort als internationale Gemeinschaft helfen und die Menschen und das Land benötigen unsere Hilfe. Die Bundeswehrsoldaten haben ja nicht mehr, wie man das aus den SFOR-Zeiten in Bosnien kennt, beim Wiederaufbau zerstörter Häuser selbst Hand angelegt, sondern wir unterstützen andere Organisationen, wie etwa die Hilfsorganisation Kinderberg, die Regierungsorganisation GTZ oder den DED. Das heißt wir stellen fest: Hier ist der Bedarf für eine Wasseraufbereitungsanlage, einen Brunnen, für Elektrizität oder für eine Schule. Und dann helfen wir mit unserem Know-how.
Als CIMICer haben Sie zwangsläufig einen besonders engen Kontakt zur Bevölkerung. Wie haben die Afghanen auf Sie, einen deutschen Soldaten, reagiert?
Meine Erfahrung war, dass sie mehrheitlich freundlich reagiert haben. Einige Afghanen waren erst mal ein bisschen zurückhaltend. Aber mir ist es immer sehr schnell gelungen, unter Vermittlung von Dolmetschern auch einen näheren Kontakt herzustellen. Die Afghanen wurden dann ein bisschen offener und luden mich auch mal in die Moschee ein, oder auf die Terrasse zu einem Tee.
Als Soldat haben Sie Sicherheits- und Verhaltensregeln zu befolgen. Militärs sollen zum Beispiel ihre Schuhe anbehalten, um bei Gefahr fliehen zu können. Aber in vielen muslimischen Haushalten werden die Schuhe vor der Tür ausgezogen. Wie haben Sie solche Situationen gelöst?
In den meisten Fällen war es für die Afghanen selbstverständlich, dass wir unsere Stiefel anbehalten. Wir haben angedeutet, dass wir sie ausziehen wollen, dann haben sie gesagt: „Nein, muss nicht sein.“ Es wurde dann sogar einem Afghanen von dem Mullah oder Dorfältesten befohlen, dass die Stiefel sauber gemacht wurden mit einem Besen, und so sind wir in die Moschee oder in andere Räume hinein. Lediglich einmal habe ich die Stiefel ausgezogen, auch um das Vertrauen weiter zu stärken.
Taugen solche Begebenheiten dazu, das Bild der Deutschen zu verbessern?
Aus meiner Sicht werden die Deutschen dort positiv wahrgenommen, weil wir in der Lage sind, uns auf die Kultur vor Ort einzustellen, und entsprechend höflich, bescheiden und zurückhaltend auftreten. Das gilt auch für die Männer, mit denen ich in Dörfern und auf Patrouille war: Wehrpflichtige aus allen Teilen Deutschlands, die Rücksicht auf die Sitten und Gebräuche nehmen.
Wie kann man als höflich wahrgenommen werden, obwohl man eine schussbereite Waffe trägt?
In Afghanistan ist es üblich, dass Männer Waffen tragen. Im Gegenteil: Die Achtung steigt, je größer das Gewehr ist. Außerdem tragen wir bei den Besuchen die Waffen nicht im Anschlag. Wenn Sie sich Fotos anschauen, auf denen unsere Soldaten mit Afghanen im Gespräch sind, so zeigen die Gewehrläufe immer nach unten. Ein allgemein anerkanntes Zeichen, dass man in friedlicher Absicht kommt. Bei den Gesprächen nehmen wir auch Helme und Sonnenbrillen ab, um Offenheit zu signalisieren.
Was denken die Leute über den deutschen Militäreinsatz?
Wir erklären, warum wir im Land sind. Dass wir Gäste sind und ihre Regeln beachten. Sie begrüßen in überwiegender Mehrheit unser Engagement und verfügen über teils erstaunlichen politischen Sachverstand.
Hat sich durch die deutschen Angriffe, bei denen afghanische Zivilisten verletzt oder getötet wurden, das Bild der Deutschen verändert?
Dass die Afghanen es nicht begrüßen, wenn Unschuldige verletzt werden oder zu Tode kommen, ist klar. Allerdings sehen gerade die Afghanen auch die Notwendigkeit, gegen die Aufständischen vorzugehen, von denen sie letztendlich auch bedroht werden, wenn diese nachts in die Dörfer kommen. Es kommt sogar vor, dass sie von uns fordern, härter gegen die Gegner vorzugehen.
Das Interview führte Ute Hempelmann