Deutschland – das Land der Ideen. Angesehen in der Welt, mit dem Ruf als ehrlicher Makler. Eher selbstlos eben – so das Image. Deutschland aber hat Interessen: politisch, wirtschaftlich, kulturell. Wer sie durchsetzen will, braucht Diplomatie, mitunter Ellenbogen, auf jeden Fall aber eine kraftvolle Stimme. Die Deutsche Welle muss sich im Interesse der Bundesrepublik Deutschland weltweit behaupten: denn sie ist Deutschlands mediale Visitenkarte in der Welt. Dabei steht sie auf den internationalen Medienmärkten im harten Wettbewerb mit Briten, Franzosen und Amerikanern, Russen, Arabern und Chinesen. Immer mehr Staaten wollen mit ihren Stimmen international präsent sein. Neue Sender wie Russia Today, France 24 oder CCTV English aus Peking verschärfen den Wettbewerb um die Köpfe – und investieren erhebliche Mittel. Mit ihnen kämpft die Deutsche Welle beim Publikum weltweit um die Deutungshoheit.
Die internationalen Medien unterliegen einem starken politischen, ökonomischen und technologischen Wandel. Die traditionellen Grenzen zwischen Fernsehen, Radio, Computer und Mobiltelefon verschwimmen zunehmend. In fast allen Weltregionen verbessert sich die technische Infrastruktur. Spätestens 2010 wird es in China mehr Breitband-Internetanschlüsse geben als in den USA. Fast zwei Drittel der 2,7 Milliarden Mobilfunknutzer weltweit leben in Entwicklungsländern. Nutzer greifen zunehmend orts- und zeitsouverän auf Inhalte zu und treten als Produzenten eigener Inhalte – Blogs, Twitter – aktiv in den Medienmarkt ein, der immer stärker fragmentiert.
Das Schlüsselwort der Zukunft heißt Multiplattformstrategie: Spezifische, auf klar definierte Zielgruppen zugeschnittene Inhalte – Audio, Video, Text, Bild, Grafik – werden auf den technischen Plattformen angeboten, die am besten geeignet sind, die intendierten Zielgruppen zu erreichen. Inhalte werden für viele Ausspielwege geplant und produziert. Auf Neudeutsch heißt das „POPE“ – „produce once, publish everywhere“. Flexibilität in Produktion und Distribution sind unabdingbar.
Die Deutsche Welle befindet sich im größten Umbruch ihrer Geschichte. Nur mit einer neuen Ausrichtung kann sie auch künftig im Wettstreit der kollidierenden Stimmen und der schier unüberschaubaren Informationsflut ihren Auftrag weiter erfüllen – und unserem Land eine starke Stimme geben. Jahrzehntelang definierte sich die Deutsche Welle als „Brücke zur Heimat“. Internet und Satelliten haben diese Funktion obsolet gemacht. Das Informationsmonopol für Deutsche und Deutschstämmige in der Welt ist verloren. Deutschsprachige Inlandsprogramme sind heute fast überall im Ausland über Internet abrufbar. Die deutschsprachigen Angebote der Deutschen Welle richten sich künftig in erster Linie an Deutschlernende, Deutschlehrende und Menschen im Ausland mit deutschen Sprachkenntnissen. Im Mittelpunkt steht heute die Vermittlung deutscher Perspektiven an ausländische Informationssuchende. Jene, die sich für vielfältige Sichtweisen interessieren und sich durch eine hohe Nutzung von medialen Informationen auszeichnen. Die durch ihre gesellschaftliche Stellung Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben. Die sich in autoritären Staaten aktiv für Demokratie, Freiheitsrechte und Fortschritt einsetzen. Sie erreicht man mit landessprachlichen Angeboten oder Englisch als Lingua franca – und sie versucht die DW zugleich für die deutsche Sprache zu interessieren und damit auch die deutsche Sprache zu fördern.
Um die verschiedenen Zielgruppen bestmöglich zu erreichen, strebt die Deutsche Welle im Fernsehen perspektivisch parallele Sprachangebote pro Region an. So können deutschsprachige Zuschauer mit einem vorwiegend deutschsprachigen Kanal, nicht-deutschsprachige mit einem überwiegend englischsprachigen Kanal, zum Teil mit regionalsprachlichen Fenstern, versorgt werden. Der Testmarkt hierfür ist Asien. Für Lateinamerika, Russland und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sind ähnliche Projekte geplant: mit zusätzlichen spanischsprachigen TV-Inhalten beziehungsweise Inhalten in russischer Sprache.
In ihren Angeboten zeichnet die Deutsche Welle unser Land so, wie es ist. Seit zwei Jahren geschieht dies verstärkt mit Unterstützung durch die ARD-Landesrundfunkanstalten und das ZDF. Wir brauchen eine noch stärkere öffentlich-rechtliche Medienallianz für das Ausland, die gleichzeitig das gesellschaftliche Bewusstsein für die mediale Positionierung Deutschlands im Zeitalter der Globalisierung schärft. Was wir aber auch brauchen: eine politische Debatte zwischen Bund und Ländern, wie Deutschlands mediale Visitenkarte künftig aussehen soll.
Die Kultur- und Exportnation Deutschland muss im Wettbewerb der Nationen und Regionen ihre Interessen ohne mediale Zwischenhändler, mit eigener Stimme, authentisch und ungefiltert artikulieren können. Mindestens 86 Millionen Nutzer der Deutsche-Welle-Angebote warten darauf. Das Potenzial ist weitaus größer. Eine Chance, die das „Land der Ideen“ nicht vergeben darf.