Herr Jabutí, was führt Sie aus dem Amazonas in das Völkerkundemuseum in Berlin-Dahlem?
Wir haben von einer brasilianischen Fotografin, Gleice Mere, erfahren, dass sich in der Sammlung des Museums Gegenstände und Fotos unserer Vorfahren befinden. Die wollen wir uns ansehen. Frau Mere hat ein Projekt mit vier Völkerkundemuseen in der Schweiz, Österreich, Deutschland und den Niederlanden initiiert, das es mir und sechs anderen Vertretern indigener Völker ermöglicht hat, nach Europa zu reisen.
Was haben Sie aus ihrer Kultur in den Sammlungen gefunden?
Wir haben Pfeile und Bögen gefunden, Kopfschmuck und Flöten.
Was halten Sie generell von der Sammelwütigkeit der Europäer, ihrem Drang, Dinge aus anderen Kulturen aufzubewahren?
Wir haben nicht die Gewohnheit, alte Dinge aufzubewahren. Ich halte das aber für wichtig. Dadurch können künftige Generationen Wissen über die Vergangenheit erhalten, darüber, wie das Leben unseres Volkes früher war.
Was fühlen Sie, wenn Sie diese Dinge so weit von ihrer Heimat sehen?
Ich spüre die Wertschätzung, die uns von anderen Völkern entgegengebracht wird. Denn die Sammler, die diese Dinge aufbewahrt haben, sind ja nicht mit uns verwandt und haben trotzdem Interesse an diesen Gegenständen.
Wie ist der Anthropologe und Sammler Emil Snethlage, der viele Gegenstände aus Ihrer Kultur nach Europa brachte, in den 1930er-Jahren in das Dorf ihrer Vorfahren gelangt?
Seine Tante lebte damals in Brasilien und ermöglichte ihm eine Reise dorthin. Er fuhr in den Amazonas und kam bis zum Dorf meiner Vorfahren. Snethlage sammelte aber nicht nur Dinge von meinen Vorfahren, auch von den Makurap und den Canoé. All das brachte er hierher in die Museen.
Wie lebt ihr Volk heute?
Wir sind noch etwa 220 bis 230 Menschen und leben in einem Dorf auf einem abgesteckten Gebiet, dem Indigenenreservat am Rio Branco, im Bundesstaat Rodônia. Wir betreiben Ackerbau und gehen auf die Jagd. Von dem, was wir anbauen, verkaufen wir einen Teil, um uns die Dinge, die wir brauchen, kaufen zu können: Kleidung und Schuhe. Die nächstliegende Stadt mit Markt ist 300 Kilometer entfernt. Früher lebten wir nomadisch. Das geht heute nicht mehr, weil das Reservat zu klein dafür ist. Jetzt leben wir fest in unserem Dorf und müssen dort bleiben.
Sind Sie zum ersten Mal in Europa?
Ja. Wir waren zuerst in Basel, dann in Österreich und jetzt sind wir hier. Ich dachte vorher, dass es in Europa überhaupt keinen Wald mehr gäbe, keinen Ackerbau, keine Viehzucht, dass überall nur Häuser und Straßen wären. Denn in Brasilien wird erzählt, dass hier in Europa alles abgeholzt wäre und dass die Europäer deshalb jetzt von den Brasilianern verlangten, den Urwald zu schützen. Aber es ist anders. Es gibt noch Wald. Europa lebt! Gestern aß ich ein Stück Hirschfleisch. In Brasilien wirst du sehr selten einen Hirsch treffen.
Was nehmen Sie von der Reise mit nach Hause?
Ich werde in meinem Dorf erzählen, wie die Europäer mit der Natur umgehen und welche Wertschätzung sie dem kulturellen Reichtum anderer Völker beimessen. Ich werde aber auch ein wenig traurig heimkehren. Hier im Archiv lagert alte Flötenmusik meiner Kultur. Früher gab es eine Masernepidemie im Dorf und die Mehrheit der Alten starb. Die Jungen haben das Flötenspiel nicht mehr gelernt, die Musik ging verloren. Jetzt wollen wir die Musik mitnehmen, um sie wieder zu erlernen. Vielleicht können wir mithilfe der alten Aufnahmen diesen Teil unserer Kultur wieder zum Leben erwecken.
Haben Sie auch Forderungen an die Europäer?
Europa hatte seinen Anteil an der Invasion in unser Land, deshalb steht es ebenso wie Brasilien in der Schuld der indigenen Völker Amerikas. Die Welt muss unsere Völker mit Bildung, Gesundheitsvorsorge und Zukunftschancen unterstützen, damit sie ein würdiges Leben bekommen. Und wir wollen unser Wissen über unsere Kulturen wieder vor Ort haben. Wir wollen ein indigenes Museum im Amazonas, in dem wir selbst eine Sammlung über unsere Kulturen anlegen und das indigene Wissen des Amazonas erforschen. Die Europäer sollen uns helfen, ein solches Museum zu bauen.
Das Interview führten Timo Berger und Birgit Hoherz