Wie man in Südafrika sprachlos wird

von Nadine Gordimer

Freie Zeit. Was Menschen tun, wenn sie nichts zu tun haben (Ausgabe IV/2009)


Erst als Frau mittleren Alters wurde mir bewusst, dass ich in einem Land mit elf Sprachen lebte, neun indigenen sowie Englisch und Afrikaans, das aus dem Niederländischen kommt und auch ein bisschen Deutsch und Französisch enthält. Ich wuchs in der englischsprachigen Kultur auf, und weil ich weiß war, bekam ich einen Ausweis für die Kinderbibliothek. Zwischen den Büchern fühlte ich mich wie das Ferkel im Klee.

Es war die Zeit der Rassentrennung. Afrikanische Sprachen wurden in der Schule nicht unterrichtet. Dieses Handicap, keine indigene Sprache zu beherrschen, spüre ich bis heute. Zum Beispiel, wenn ich schwarze Freunde einlade. Ich gehe aus dem Zimmer, um Eis für unsere Drinks zu holen, und wenn ich zurückkomme, unterhalten sie sich auf Siswati, Khoisan oder Zulu. Plötzlich fühle ich mich wie eine Ausländerin im eigenen Wohnzimmer! Und das ist allein meine Schuld.

Bis heute sprechen Weiße kaum afrikanische Sprachen. Es ist höchste Zeit, dies zu ändern. Sonst geht es einem so wie mir neulich auf einem südafrikanischen Flughafen. Mein Gepäck ging verloren und ein Weißer nahm auf Englisch meine Daten auf. Als ich dann bei einem schwarzen Mitarbeiter mein Gepäck identifizieren sollte, sprach dieser kein Englisch. In solchen Momenten denke ich: Könnte ich doch nur Zulu sprechen! Aber zum Glück gibt es noch Hände und Füße.



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