Die Nummer in meinem schwedischen Ausweis hat zehn Stellen. Sie beginnt mit dem Geburtsjahr: 75. Die folgenden vier Ziffern habe ich mit allen gemein, die am 22. Februar geboren sind. Und die vier letzten Stellen sind es, die mich einzigartig machen. Denn die zehnstellige Nummer gehört nur mir – bis zum meinem Tod und sogar darüber hinaus. Niemals wird ein anderer Mensch in Schweden die gleichen zehn Zahlen sein Eigen nennen können. Die Personennummer ist die Basis der schwedischen Verwaltung. Jeder Staatsbürger hat eine, ebenso alle Ausländer, die dauerhaft in Schweden leben. Die meisten können ihre Kennzahl auswendig, denn man wird fast täglich danach gefragt. Und wer auf diese Frage keine zehnstellige Antwort parat hat, bekommt weder Telefonanschluss noch Internet oder Kabelfernsehen.
Er wird beim Arzt nicht umsonst behandelt – außer er schwebt in Lebensgefahr – und muss auf der Bank umständliche Formulare ausfüllen, bevor er ein Konto eröffnen darf. Die durchnummerierte Gesellschaft ermöglicht eine erstaunlich effiziente Verwaltung. Das schwedische System stammt aus dem Jahr 1947, aber es passt geradezu perfekt ins Internetzeitalter. Die Personennummer ist der wohl wichtigste Grund dafür, dass die nordischen Länder beim Thema E-Government die Nase vorn haben. Steuererklärung im Internet? Ein alter Hut – die neueste Errungenschaft im Norden ist es, die Deklaration per SMS ans Finanzamt zu schicken. Mit Kurznachrichten kann man inzwischen auch Verträge abschließen. Und natürlich kann man auf elektronischem Weg Kranken- oder Kindergeld beantragen sowie das Cabrio für den Winter abmelden. Und immer braucht man dabei die Personennummer.Das Personennummernsystem ist nichts anderes als ein zentrales, öffentliches Bürgerverzeichnis, das vom Finanzamt geführt wird – ihm untersteht in Schweden das Einwohnermeldewesen. Andere Behörden übernehmen die Zahlen in ihre Register und koppeln sie mit eigenen Informationen. Das Vägverket – das „Straßenwerk“ – schreibt die Nummer ins Kfz-Verzeichnis, wenn man ein Auto anmeldet.
Der Arzt tippt sie in einen Computer, der mit einer zentralen Datenbank für medizinische Versorgung verbunden ist. Rezepte werden dort gespeichert. Der Patient kann seine Pillen dann in jeder schwedischen Apotheke bekommen – er muss nur die magischen Ziffern nennen. Geht er zu einem anderen Arzt, kann der mit der Nummer sekundenschnell die Krankengeschichte abfragen.
Seit ich in Schweden wohne, merke ich, dass die Ziffern das Leben vereinfachen. Neulich bin ich umgezogen. Die neue Adresse habe ich nur dem Finanzamt mitgeteilt, von dort verbreitete sie sich wie von selbst zu Banken, Versicherungen, Sozialkasse, Mobiltelefonanbieter. Das Register ist allen anderen Behörden, Firmen und in gewissem Umfang sogar Privatleuten zugänglich. Nicht einmal ein Steuergeheimnis gibt es. Aus deutscher Sicht klingt das beängstigend, man denkt schnell an George Orwell und den großen Bruder. „Stört es dich gar nicht, dass dein Nachbar beim Finanzamt einfach so rausbekommt, was du verdienst“, habe ich mal einen Schweden gefragt. „Warum sollte er sich dafür interessieren?“, war die Antwort.
Von Interesse sind vor allem Gehälter von Top-Managern und Politikern. Die werden alljährlich von den Boulevard-Zeitungen in Tabellen und Ranglisten veröffentlicht. In Deutschland würde das Personennummernsystem in Konflikt mit dem Datenschutz geraten. Hier sind Register verschiedener Behörden strikt getrennt und größtenteils nicht oder nur eingeschränkt zugänglich. Es gibt gute Argumente für strengen Datenschutz – und ebenso gute für Offenheit. Letztlich ist es eine Frage der Mentalität. In Schweden haben die Bürger ein intimeres und unbefangeneres Verhältnis zum Staat. In Deutschland ist die Beziehung wohl aus historischen Gründen etwas gestört.
Für Schweden ist Transparenz in der öffentlichen Verwaltung ein hoher Wert. Diese Transparenz bekommen sie unter anderem durch das Nummernsystem und die frei zugänglichen Daten. Im Gegenzug müssen die Bürger in Kauf nehmen, dass sie auch einen Teil ihrer Geheimnisse preisgeben. Dadurch kann der Staat die Bürger besser kontrollieren. Aber die Bürger haben auch eine bessere Kontrolle über den Staat. Das bekommen vor allem seine höchsten Amtsträger oft zu spüren. Kürzlich gerieten 17 von insgesamt 33 Staatssekretären in die Schlagzeilen, weil sie illegal Putzfrauen, Handwerker oder Kindermädchen beschäftigt hatten. Wie das herauskam? Eine Nachrichtenagentur hatte die hohen Beamten einfach per Rundmail gefragt, ob sie sich in dieser Hinsicht irgendwann einmal etwas zu Schulden kommen ließen. Manche der Gefragten wühlten sich stundenlang zusammen mit ihrem Steuerberater durch alte Kontoauszüge, um auch das kleinste Vergehen beichten zu können. Sie hatten Angst, als Lügner dazustehen, wenn sie Sünden versehentlich verschweigen, die später von Journalisten aufgedeckt werden könnten.