Nach den Rechten sehen

von Olga Sasuchina, Wilhelm Siemers

Frauen, wie geht's? (Ausgabe IV/2007)


Am 2. Dezember 2007 finden in Russland die Dumawahlen statt. Die Zielsetzung für die kremlnahe Partei „Einiges Russland“ dabei ist klar: Die Zweidrittelmehrheit im Parlament soll verteidigt werden. Dafür setzt die Partei auf die Mobilisierung der Jugend. Nur jeder Dritte im Alter von 18 bis 25 Jahren geht bisher zur Wahl. Das soll sich ändern.

Vor allem die parteieigene Jugendorganisation „Junge Garde“ soll die russischen Jugendlichen politisch fit machen. Doch anhand der Jugendarbeit der Organisation wird deutlich, dass Ideen, die in der Moskauer Zentrale für gut befunden werden, in den russischen Regionen keinesfalls mehr kritiklos übernommen werden.

Bekannt wurde die „Junge Garde“ unter anderem durch Protestaktionen gegen das Nachbarland Estland. Selbst die Sängerin Madonna machte im letzten Herbst bei ihrem Konzert in Moskau Bekanntschaft mit den Aktivisten, die „Madonna, go home“ skandierten. Beim Versuch die Jugend zu mobilisieren, schreckt die Führung der 50.000 Mitglieder zählenden Organisation auch vor Themen wie Nationalismus und Rechtsextremismus nicht zurück. Laut Umfragen sympathisieren 15 Prozent der russischen Jugendlichen mit rassistischen Ideen. Das Moskauer Sowa-Zentrum schätzt die Zahl russischer Neofaschisten auf 60.00 bis 70.000, das Moskauer Büro für Menschenrechte spricht von 500.000 meist jugendlichen Rechtsradikalen.

Im Februar 2007 wurde das „Russische Projekt“ ins Leben gerufen. Im Rahmen des Projektes sollen sich die Jugendlichen mit der russischen Nation auseinandersetzen. Munter werden von den Mitgliedern der „Jungen Garde“ solche nationalen Phrasen wie „Russ-land nur für die ethnischen Russen“ oder „Nationalismus als Ideologie“ diskutiert. Die Ergebnisse der Diskussion sollen schließlich ins Parteiprogramm von „Einiges Russland“ einbezogen werden.

Betraut mit der Leitung und Organisation wurde Iwan Demidow. Der frühere populäre Fernsehmoderator ist heute in der „Jungen Garde“ Koordinator für ideologische und politische Arbeit. Er soll eruieren, welche natio-nale Gesinnung die russische Jugend hat. Das Ziel ist klar, die Mutterpartei „Einiges Russland“ will die jungen Wähler, die als weiche Nationalisten gelten, auf sich einschwören und somit fünf bis sieben Prozent mehr Stimmen gewinnen.

Dass Demidow dabei nationalistische und radikale Glaubenssätze propagiert, stört ihn nicht. Auch die Einmischung anderer Parteien verbittet sich der Politstratege. „Unser Projekt ist eine breite Diskussionsrunde, bei der wir die Führung übernehmen. Andere Parteien sind deshalb nicht erwünscht“, sagt der 44-Jährige bei der Vorstellung des Projektes.

Die Brisanz des Projektes liegt in der Betonung der führenden Rolle der ethnischen Russen. Das ist Zunder für den Vielvölkerstaat Russland. Um den Titel „Russisches Projekt“ besser verstehen zu können, lohnt ein Blick in die Linguistik: In der russischen Sprache sind zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die Staatsbürgerschaft und die Ethnie vorgesehen. Im Deutschen gibt es das Wort „Deutscher“. Es ist eine Person, die im Besitz eines deutschen Passes ist. Ein deutscher Bürger mit türkischer Herkunft ist ebenso ein Deutscher. In Russland gibt es einen sprachlichen Unterschied: Mit „russki“ wird ein ethnischer Russe bezeichnet.

Mit „rossiski“, „Russländer“, ist der Bürger der Russischen Föderation gemeint. „Rossiski“ wurde in den 1990er Jahren unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin geprägt. Mit dieser staatsideologischen Identität sollte der Zusammenhalt der Russischen Föderation gefördert werden. Seit dieser Zeit gilt der Begriff „russki“ als Betonung des Nationalismus und wird benutzt, um die russische Mehrheit von den anderen Nationalitäten abzugrenzen. Genau an diesem Punkt möchten Iwan Demidow und die Mutterpartei „Einiges Russland“ ansetzen. Die ethnischen Russen sollen die Führung des Staates übernehmen. Doch die Umsetzung des groß angekündigten Projektes scheitert am zunehmenden Selbstbewusstsein der Regionen gegenüber der Zentrale in Moskau. Die Ideen werden dort zwar ausgebrütet, aber an der Umsetzung hapert es mitunter gewaltig. Die Realität vor Ort lässt es kaum zu.

Ulan-Ude ist die Hauptstadt der Republik Burjatien, an der Ostseite des Baikalsees. 21 dieser nationalen Republiken gibt es in der Russischen Föderation. Sie haben ihre Amtssprache, eine Verfassung und dürfen sogar einen Präsidenten wählen. Burjatien hat eine Bevölkerung von knapp einer Millionen Menschen. Russen, Burjaten, Ukrainer und Tataren leben friedlich zusammen. Der Präsident der Republik ist Russe, doch viele aus der politischen Elite sind Burjaten. Alles ganz normal im asiatischen Teil Russlands. Bair Angurow ist Burjate und Chef der „Jungen Garde“ in seiner Republik. Vom „Russischen Projekt“ hat er noch nie etwas gehört. Doch schon der Titel und die Thesen machen den 41-Jährigen nachdenklich. „Ich bin mit Projekten dieser Art immer sehr vorsichtig“, sagt er. Burjatien sei eine der stabilsten Republiken Russlands. Ethnische Konflikte gebe es praktisch nicht. Deshalb sollte man die Themen Nationalismus und Extremismus lieber nicht anrühren.

„Damit provoziert man nur die Aktivitäten jugendlicher Rechtsradikaler“, meint der Lokalpolitiker. Dass Burjaten, die asiatisch aussehen, selbst Opfer von rassistischen Übergriffen werden, weiß Angurow gleich zu berichten: Vor drei Jahren wurden Mitglieder der burjatischen Mannschaft im Bogenschießen in der west-russischen Stadt Tula von Russen verprügelt. Seither sind die Burjaten sensibilisiert für alle Bestrebungen der Russen, ihre ethnische Überlegenheit den anderen Nationalitäten zu demonstrieren. Und Bair Angurow geht in seinen Überlegungen noch weiter: Anstatt sich in Moskau irgendwelche nationalistischen Projekte auszudenken, solle man lieber von der Nationalitätenpolitik in den Republiken lernen. Vor allem in den westrussischen Städten gebe es Fremdenfeindlichkeit. Viele burjatische Eltern würden lange nachdenken, ob sie ihre Kinder zum Studium in eine größere Stadt im Westen des Landes schicken. „Sie haben Angst, dass ihre Kinder aufgrund ihres nichtslawischen Aussehens angegriffen werden“, erzählt Angurow.

Aleksej Schtschepetkin in der westsibirischen Stadt Omsk ist froh, wenn Journalisten auf einen Plausch vorbeikommen. Im Sommer sei nichts los im Parteibüro der lokalen „Jungen Garde“. Aleksej hält als Vizechef die Stellung, sein Chef ist im Urlaub. „Russisches Projekt? Hier hinter dem Ural haben wir nichts von dem Projekt mit einem so nationalistischen Titel gehört“, sagt der 21-jährige Schtschepetkin. Den Titel des Projektes mag der Student nicht. „Das Problem des Nationalismus und des Fremdenhasses ist bei uns nicht aktuell“, meint der Sibirier und lobt den Gouverneur des Omsker Gebiets, Leonid Poleschajew. Dieser verfolge eine Politik, die das friedliche Zusammenleben der Nationalitäten unterstütze. Deshalb mache es auch gar keinen Sinn, so ein Projekt in Sibirien durchzuführen. Solche Diskussionen würden nur die Gewaltbereitschaft rechtsradikaler Jugendlicher steigern, ist Schtschepetkin überzeugt. Doch die Ideen seiner Mutterpartei „Einiges Russland“ und die Vorschläge seines Idols, Iwan Demidow, will er dennoch nicht verdammen. Immerhin mache die „Junge Garde“ auch sehr erfolgreiche Projekte, um junge Menschen an die Politik heranzuführen.

Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Politsawod“ (Politikfabrik). Bereits im April 2006 entschied das Präsidium von „Einiges Russland“, dass auf den Parteilisten bei den Regional- und Dumawahlen 20 Prozent der Kandidaten Jugendliche unter 28 Jahren sein sollen. Die Auswahl der Jungpolitiker übernahm die „Junge Garde“, sie organisierte das Planspiel „Politikfabrik“ in den russischen Regionen. Damit hatten zum ersten Mal junge Leute die Chance, bei richtigen Wahlen zu kandidieren. Einzige Teilnahmebedingung: Die Bewerber sollen zwischen 21 und 28 Jahren sein. Wie ein Lauffeuer sprach sich das Projekt herum und lockte viele Teilnehmer an. Der Omsker Aleksej Schtschepetkin war auch dabei. „Das ist eine einmalige Chance als junger Mann in die große Politik zu kommen“, sagt er.

Das Projekt „Politikfabrik“ bestand aus zwei Runden: Zunächst sollten die Teilnehmer einen Persönlichkeitsfragebogen ausfüllen und eine 45 Minuten lange Rede vor der Kamera halten. Die von einer Jury ausgewählten 20 Gewinner kamen in die zweite Runde. Und da ging es ans Eingemachte. Die Jungpolitiker sollten eine ganze Wahlkampagne auf die Beine stellen: Unterstützerunterschriften auf der Straße sammeln, ein Wahlprogramm ausarbeiten, medienwirksam karitativen Institutionen helfen und letztlich eine inszenierte Fernsehdebatte mit dem politischen Kontrahenten überstehen. Für Aleksej Schtschepetkin hat sich die Mühe gelohnt. „Ich war Kandidat bei der Regionalwahl am 11. März 2007 in Omsk“, erzählt er nicht ohne Stolz. Doch leider habe er kein Mandat im Omsker Gebietsparlament gewonnen. Auch auf die Liste zur Dumawahl wird er fehlen. Nur die Besten der „Politikfabrik“ bekommen einen hinteren Listenplatz der Partei „Einiges Russland“ zugewiesen.

Auch wenn nur wenige Jugendliche durch die „Politikfabrik“ den Weg in die große Politik finden, zeigt sich doch, dass die Nachwuchsarbeit der Partei in den Regionen funktioniert. Im Gegensatz dazu verdeutlicht das „Russische Projekt“ zweierlei: Zunächst wird deutlich, dass Nationalismus in Russland ein Thema ist, mit dem Politiker in Moskau versuchen, sich zu profilieren. Allerdings wird ebenfalls klar, dass die Regionen der Zentrale nicht mehr stur folgen und vor Ort entscheiden, welche Aspekte der Politik wie umgesetzt werden können. Diese Entwicklung wird im Westen so kaum zur Kenntnis genommen.



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