Muriel Gray, Romanautorin, Fernsehmoderatorin und diesjährige Vorsitzende des Orange Broadband Prize for Fiction (bei dem männliche Autoren nicht zugelassen sind), flankierte die Bekanntgabe der Vorauswahl mit dem Vorwurf, dass sich die Autorinnen des diesjährigen Wettbewerbs im Großen und Ganzen durch fehlende Vorstellungskraft auszeichneten und sich zu bemüht auf ihr eigenes Leben und ihre persönlichen Belange beschränkten. Die Autorinnen arbeiteten nicht hart genug daran, sich von ihrem Geschlecht und ihren Lebensumständen zu lösen – sie scheiterten daran, sich Geschichten auszudenken, eine Vorraussetzung für gute, spannende Literatur.
Im Jahr 2005, als die Romanautoren Toby Litt und Ali Smith die jährliche Arts Council Anthology für neue Literatur herausgaben, wurde ihre Behauptung, dass „die Beiträge von Frauen enttäuschend häuslich und risikoarm“ seien, heiß diskutiert und weitestgehend verurteilt. Obwohl sich die Kritik nur gegen die Schriftstellerinnen richtete, die Beiträge für die Anthologie eingereicht hatten, übertrug man sie auf alle Schriftstellerinnen, ob tot oder lebendig. Auch verwies Muriel Gray nur auf die für den Orange Prize in Erwägung gezogenen Bücher – und jeder, der je einen wichtigen Preis bewerten musste, wird bestätigen, dass man durch eine fürchterliche Menge aus Morast, gepresst zwischen zwei Buchdeckeln, waten muss. Dennoch werden solche Kommentare gerne auf Schriftstellerinnen en masse bezogen. Die Medien lieben es, wenn sich ein Stutenbeißen abzeichnet.
Aber liegt etwas Wahres in der Anschuldigung? Es gibt keinen bestimmten Grund, Literatur von Frauen und Häuslichkeit in Zusammenhang zu bringen. „Oroonoko“ von Aphra Behn (1688), einer der ersten von einer Frau auf Englisch verfassten Romane, ist die packende Schilderung der Gefangennahme eines afrikanischen Prinzes durch englische Sklavenhändler. Er basiert auf den furchtlosen Reisen der Autorin in Surinam. Dennoch diente damals die Tatsache, dass Autorinnen hauptsächlich Alltägliches schrieben – und daher minderwertig seien –, als Argument, um den toten, weißen, männlichen Kanon aufrechtzuerhalten. Bis feministische Lesarten die herabgesetzten Texte neu eröffneten und die zumeist selbsterhaltende, chauvinistische Natur männlicher Kritik aufzeigten.
Jemand müsste schon sehr frech sein, um Jane Austens Werk aufgrund ihrer häuslichen Szenerie entwerten zu wollen – auch wenn sie es selbst als „dies kleine Stückchen Elfenbein“ bezeichnete. Der einzige Roman von Sylvia Plath orientiert sich stark an ihren Erlebnissen als aufgewühlte amerikanische Studentin. Wer aber würde der „Glasglocke“ ihren Esprit, ihren Erkenntnisgehalt und ihre brillant beschreibende Kraft absprechen wollen? Um zu bemerken, dass „sich alles Mögliche auszudenken“ sehr wohl im Bereich des Machbaren für Schriftstellerinnen liegt, schaue man sich nur einmal die Werke von J. K. Rowling und Susanna Clarke an, die sich akribisch komplett neue Welten ausdachten. Und beide Autorinnen leiden unter einem leichten Stigma – nämlich, dass sie „nur“ Fantasy produzieren. Das beliebte Buch „Jonathan Strange und Mr. Norrell“ von Clarke war ein enormer Erfolg, der bei den großen Literaturpreisen übergangen wurde. Vielleicht hat es einfach zu viel Spaß gemacht.
Schreiben männliche Autoren nicht auch nur minimal umhüllte autobiografische Fiktion? Natürlich. Und sie werden dafür nicht niedergemacht. Das Leben von Patrick Melrose in der zu Recht gefeierten Buch-Tetralogie über die Familie Melrose von Edward St. Aubyn verläuft in ähnlichen Bahnen wie das des Autors, – obwohl es zugegebenermaßen interessanter ist, darüber zu lesen, wie jemand mit Geld um sich schmeißt, tonnenweise Drogen nimmt und mit der königlichen Familie per Du ist, als wie eine Heldin das Erbrochene ihres kranken Babys von ihrer Schulter wischt. Schriftsteller sind also mit sogenannter häuslicher Literatur auch ganz gut dabei. Man betrachte nur einmal Nick Hornby oder Tony Parsons, nicht zu vergessen Madame Bovary von Flaubert.
Unterscheiden sich nun weibliche von männlichen Schriftstellern? Ja: Frauen beschränken sich oftmals auf den alltäglichen Bereich, den Männer gewöhnlich nicht berücksichtigen um bestimmte Genres auf dem Markt zu bedienen, sind Frauen dazu aufgefordert, Liebesromane zu schreiben, während Männer Abenteuerromane produzieren sollen wie in „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë neigt Literatur von Frauen dazu, den männlichen Status quo zu untergraben. Nein: kulturelle Merkmale wie Reichtum, Status und Nationalität sind heutzutage wichtiger als Geschlecht die Brontës und George Eliot haben ursprünglich unter männlichem Pseudonym veröffentlicht – ohne dass jemand die Wahrheit geahnt hätte menschliche Erfahrung ist universell und Schriftsteller können nichts anderes tun, als über diese Wirklichkeit zu reflektieren.
Aus dem Englischen von Johanna Barnbeck