Ihr erster Dokumentarfilm heißt „Was ist die Klitoris?“. Was passiert darin?
Wir fragten Frauen und Männer auf der Straße, in Universitäten und Cafés, was die Klitoris ist. Der Film zeigt in sieben Minuten, wie groß die Tabus in der Türkei hinsichtlich des Geschlechtlichen, des weiblichen Körpers und des weiblichen Lustempfindens sind.
Welche Tabus sind das genau?
Die Sexualität der Frau ist im Grunde genommen schon ein absolutes Tabu. Weit verbreitet ist das Bild der Frau als Ehegattin und Mutter. Sie fungiert als asexuelles Objekt, das den Männern ermöglicht, ihre Sexualität auszuleben. Aber alles, was damit zu tun hat, ist ein Tabu: die Jungfräulichkeit, das Annehmen und nicht Verstecken des eigenen Körpers, Sex außerhalb der Ehe, ja selbst das bewusste Erleben von Sex in der Ehe, das Wissen um das Recht auf Genuss beim Sex, das Einfordern desselben ...
Sie haben auch eine österreichische Variante des Films gedreht. Was war anders?
Die Unterschiede waren nicht so groß: Viele scheuten den offenen Umgang mit dem Thema, hatten Wissenslücken. In Österreich kann man vielleicht nicht von Tabus sprechen, aber von Verschleierung schon.
Warum haben Sie sich als Kollektiv organisiert?
Wir wollen herausstreichen, wie festgefahren, hierarchisch und frauenfeindlich die Strukturen in der Filmbranche sind. Diese wollen wir aufbrechen und beweisen, dass andere möglich sind.
Drehen Sie ausschließlich politische Filme?
Geht es um Frauen, wird von ganz rechts bis ganz links immer so getan, als sei das ein unpoliti-sches Thema. Wir sind sicher: Es ist zweifellos politisch, dass Frauen als Heimarbeiterinnen für die Industrie tätig sind, dass sie eine Klitoris haben und selbstverständlich auch das Recht auf Lust.
Sie zeigen Ihren Film auch auf Frauenfilmfestivals, die in kleineren türkischen Städten stattfinden. Wie wird er dort aufgenommen?
Dort erhalten wir mehr Resonanz als in großen Städten. Teilweise sind die Ortschaften, die wir besuchen, von jedermann vergessen. Die Leute sind glücklich, dass wir zu ihnen kommen und ihnen zeigen, dass wir sie respektieren.
Gibt es auch Probleme?
Unsere schlechten Erfahrungen beschränken sich eher auf die Technik. Deshalb haben wir alles gelernt, was mit Technik zu tun hat. Das meiste Wissen bei uns hat eine 25-jährige Kollegin. Einmal ist sie vorher in einen kleinen Festivalort geflogen und die Leute haben nicht geglaubt, dass sie unsere technische Direktorin ist. Im Vorführungssaal ließen die Verantwortlichen sie nicht in den Techik-raum. Als wir am nächsten Tag ankamen, erzählten uns die Frauen aus dem Ort, wie viel Kraft es ihnen gegeben hätte, dass sich eine junge Frau gegen die Männer durchgesetzt hatte. Und die Männer mussten sich ihre eigenen Vorurteile eingestehen. Insofern ist nicht nur das Festival, sondern der damit verbundene Prozess sehr wichtig – ein Kommunikations- und Erfahrungsaustausch.
Worüber diskutieren die Festivalbesucher besonders viel?
In den letzten Jahren ist das politische und öffentliche Interesse am Feminismus gewachsen, auch durch die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union. Frauen entdecken, dass für sie ein anderes Leben möglich ist, eines, in dem sie nicht unterlegen sind, und die Männer treibt das Interesse, welche Gefahren mit diesem neuen Lebenszuschnitt für sie verbunden sein könnten.Letztes Jahr war das Thema des Festivals „Ehre“. In A?gri ergriff ein Mann das Wort und sagte: „Ich habe einige Zeit in einer Großstadt gelebt und diese Frauen haben ein furchtbares Selbstbewusstsein. Das war für mich sehr beängstigend. Meiner Meinung nach ist es falsch, als Frau mit solch ausgeprägtem Selbstbewusstsein vor einen Mann zu treten.“ Darum geht es immer wieder. In der Türkei gibt es ein Sprichwort: „Wenn ich in diesem Leben mit Glück gesegnet wäre, wäre ich als Mann auf die Welt gekommen.“ Und das heißt, wir Frauen haben ein Problem.
Das Interview führten Johanna Barnbeck und Berna Ercan