„Wie geht es Ihnen?“

Mit der Machtübernahme der Taliban verloren Frauen in Afghanistan über Nacht beinahe alles: ihre Rechte, ihre Arbeit, ihre Würde. Was sind heute ihre Sorgen? Wir haben zwölf Frauen um ein Selfie gebeten und gefragt, wie es ihnen geht

Themenschwerpunkt „Frauen in Afghanistan“ 

„Frauen sollten überall das Recht haben, frei zu sein“

Shukufa: „Ich finde, Frauen auf der ganzen Welt sollten das Recht haben, frei zu sein, sich zu bilden und ihren Träumen zu folgen. Stattdessen bin ich als Frau in Afghanistan nicht einmal frei darin zu entscheiden, was ich anziehe.

Wer die Regeln ignoriert, wird eingeschüchtert und bestraft. Ein solches Risiko ist Kleidung nicht wert. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Afghanistan für die Weltgemeinschaft nur ein Spielball ist. Doch das ist kein Spiel.

Für uns, die wir hier leben, ist es bitterer Ernst. Als ich nach Kabul kam, um mich für die Aufnahmeprüfung an der Universität anzumelden, wurde ich nicht zugelassen. Ich wollte Englisch studieren, mich für ein Stipendium bewerben und in einem besseren Land studieren, als es Afghanistan ist.

Doch bis heute bleibt die Tür zur weiteren Bildung für mich verschlossen. Das ist sehr schmerzhaft.“

Bild: Sayed Aman Sadat


„Ich vermisse es, meine Freundinnen zu treffen“

Meena: „Ich habe mehr als vier Jahre Webapplikationen entwickelt. Nun bin ich Managerin an einer privaten Schule und Freelancerin in der Digitalwirtschaft.

Die aktuelle Situation ist für mich erträglich, da ich meine Projektarbeit machen kann – zurzeit allerdings überwiegend aus dem Homeoffice. Aber das aktuelle Durcheinander an Verordnungen und der mangelnde Respekt für Frauen beunruhigen mich sehr. Es scheint so, als seien wir unsichtbar geworden.

Besonders vermisse ich es, mich mit meinen Freundinnen zu treffen, bunte Kleider zu tragen und etwas Spaß zu haben. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mich nach solch selbstverständlichen Freiheiten sehnen würde.“

Bild: Privat


„Wir haben so hart für unsere Rechte gekämpft“

Liza: „Von 2006 bis Februar 2022 habe ich für eine Bank gearbeitet und mich bei einer NGO für die Rechte von Frauen und Mädchen engagiert. Letzteres hat die Taliban derart provoziert, dass ich bedroht und verfolgt wurde.

Ich musste meinen Job aufgeben und lebe heute in ständiger Angst, auch wegen meiner 13 und 14 Jahre alten Töchter. Sie waren seit Monaten nicht mehr in der Schule…

Im Fernsehen laufen so gut wie keine Filme mehr, Kinder-Cartoons dürfen keine Menschen mehr darstellen, nur noch Tiere. Auch Facebook, Instagram oder WhatsApp sind nicht mehr sicher, weshalb wir mittlerweile routinemäßig unsere Telefonnummern wechseln.

Wir haben so hart für unsere Rechte gekämpft, und jetzt sitzen wir einfach nur noch zu Hause herum.“

Bild: Privat



„Alle Träume und Hoffnungen scheinen verloren“

Sama: „Seit ich nicht mehr zur Schule gehen kann, sitze ich meistens zu Hause. Vor Kurzem haben Anhänger der Taliban unser Haus durchsucht. Meine Familie und ich sind noch sehr verängstigt, wir fühlen uns seitdem nicht mehr sicher in unseren eigenen vier Wänden.

Meine Eltern haben starke Suchtprobleme, sie sind opiumabhängig. Darum war das Leben noch nie leicht für meine Schwester und mich.

Wir beide würden lieber nicht mehr bei ihnen leben müssen und nach einem kleinen Zimmer suchen, aber das ist in der gegenwärtigen Situation schwierig.

Ich habe immer davon geträumt, eines Tages Schmuckdesignerin zu werden und meinen eigenen Laden zu eröffnen. Jetzt scheinen all meine Träume und Hoffnungen verloren.“

Foto: Sayed Aman Sadat


„Ich spüre, wie mich meine Kraft verlässt“

Farahdiba: „Ich habe lange als Sicherheitsexpertin für das afghanische Finanzministerium gearbeitet. Seit der Rückkehr der Taliban hat man allen Frauen im Ministerium gekündigt. Unsere Situation verschlechterte sich radikal, als wir vor fünf Monaten aus unserer Wohnung ausziehen mussten.

Wir waren gewarnt worden, dass einer meiner Brüder, ein Journalist, auf einer Todesliste der Taliban stehe. Ein anderer Taliban hatte erklärt, dass er eine meiner Schwestern zwangsheiraten wolle.

Heute teile ich mir mit meinen Eltern, meinen vier Schwestern und zwei Brüdern ein Ein-Zimmer-Appartement. Ich habe unzählige E-Mails verschickt, unter anderem an Kontakte bei den UN. Niemand antwortet mir. Ich spüre Tag für Tag, wie mich meine Kraft ganz allmählich verlässt.“

Foto: privat


„Für Männer ist Afghanistan auch kein guter Ort“

Liza: „Vor der Rückkehr der Taliban im August 2021 hatte ich ein gutes Leben und arbeitete für eine zivilgesellschaftliche Organisation.

Heute bin ich arbeitslos, sitze nur noch zu Hause herum und kümmere mich um meinen kleinen Sohn. Aber auch für Männer ist Afghanistan längst kein guter Ort mehr.

Mein Mann arbeitete früher für das Finanzministerium, zwischenzeitlich saß er in Haft, nun bleibt er meist zu Hause bei mir. 

Wir beide haben kein Einkommen, bald ist unser Erspartes aufgebraucht. Was dann sein wird, weiß ich nicht. Nur eines ist sicher: In Afghanistan gibt es keine Zukunft mehr für uns.“

Foto: privat


Weiter lesen: Verbotene Musik


Musik ist seit der Rückkehr der Taliban verboten, singende Frauen werden nicht toleriert. Doch manche afghanische Musikerinnen setzen ihre Karriere im Exil fort. Eine Auswahl berühmter afghanischer Sängerinnen, zusammengestellt von dem Musikproduzenten Farhot


Themenschwerpunkt „Frauen in Afghanistan“