Medien | Afghanistan

Karikaturen gegen die Taliban

Wie ist es, in Afghanistan über Politik zu berichten? Die afghanische Journalistin Uzra Shamal wählte dafür eine ungewöhnliche Form: die Karikatur. Ein Gespräch
In der einfachen Zeichnung sitzt ein wütender Mann mit Turban auf einer Trage. Er wedelt mit vier Armen, in jeder der vier Hände ein Maschinengewehr oder eine Peitsche. Die Bahre wird von 10 Frauen auf den Schultern getragen, sie sind von Kopf bis Fuß v‘rhüllt, ihre Hände sind gebunden.

Ein Taliban-Kämpfer sitzt auf den Schultern anonymer Frauen, die sich nicht äußern können und deren Hände gefesselt sind

Interview von Gundula Haage

Frau Shamal, Sie sind Journalistin und Karikaturistin. Welchen Themen widmen Sie sich in Ihren Zeichnungen?

Uzra Shamal: Ich zeichne über alles, was mich umtreibt: wirtschaftliche Probleme, Politik, den Krieg und natürlich all die Herausforderungen, mit denen Frauen in Afghanistan täglich zu kämpfen haben. Karikaturen bieten mir einen interessanten Blickwechsel, um über grundsätzliche Probleme nachzudenken.

Wenn ich ein komplexes Thema wie geschlechterbasierte Diskriminierung in einer kleinen Karikatur verdichte, ist das eine ganz andere Annäherung, als sich dem gleichen Thema in einem langen Artikel zu widmen. Als Journalistin hat es mir immer geholfen, auf beiden Wegen über zentrale Themen nachzudenken.

Die Karikatur, die Sie für uns gezeichnet haben (im Bild oben), befasst sich mit der eklatanten Benachteiligung, der Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind. Was waren Ihre Gedanken beim Zeichnen?

Die Taliban haben keinerlei Respekt für uns Frauen. Sie zwingen uns, uns zu verschleiern und zu Hause zu bleiben. Frauen dürfen nicht mehr arbeiten und sich nicht weiterbilden. Alle mühsam erkämpften Rechte wurden uns wieder genommen. Manchmal denke ich, dass die Taliban Tiere besser behandeln als Frauen. Aber gleichzeitig befassen sich die Taliban kaum mit den wirtschaftlichen und politischen Problemen des Landes.

„Karikaturen können sehr effektiv sein, um schwerwiegende Probleme auf leichtere Weise zu thematisieren“

Stattdessen verkünden sie ein neues Gesetz nach dem anderen, das Frauen weiter einschränkt. Sie scheinen von Frauen geradezu besessen zu sein. Deshalb habe ich in meiner Karikatur einen Taliban-Kämpfer gezeichnet, der auf den Schultern einer Gruppe anonymer Frauen sitzt, die sich nicht äußern können, deren Hände gefesselt sind und denen alle Rechte genommen wurden.

Welchen Vorteil haben Zeichnungen gegenüber schriftlicher Berichterstattung?

Menschen haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Die Visualisierung hilft, die Aufmerksamkeit der Leser für ein paar Momente zu fesseln. Wenn ich eine Karikatur mit einer starken Botschaft zeichne, hoffe ich, dass sie Menschen zum Nachdenken anregt. In ihrer knappen Form verdichten Karikaturen eine Botschaft.

Manchmal sind sie ein bisschen lustig, obwohl das eigentliche Thema schrecklich ist. Darum können sie ein sehr effektiver Weg sein, um selbst sehr schwerwiegende Probleme auf eine etwas leichtere Weise zu thematisieren.

Wie sind Sie im Kabul der frühen 2000er-Jahre zur Karikaturistin geworden?

Ich habe nie Kunst studiert, aber schon immer gerne gezeichnet und gemalt. Als ich in der High School war, habe ich zum Spaß begonnen, lustige Cartoons für Kinder zu zeichnen. Später, an der Fakultät für Journalismus, ermutigten mich meine Professoren, mit den Karikaturen weiterzumachen.

Als Journalistin habe ich für verschiedene Zeitungen in Kabul gearbeitet. Am Anfang habe ich neben meine Artikel manchmal eine thematisch passende Karikatur gezeichnet. Das kam gut an, darum habe ich später regelmäßig Aufträge für Karikaturen für verschiedene Magazinen, Zeitungen und Websites erhalten.

Sind Sie durch Ihre Arbeit in Schwierigkeiten geraten?

Ja, natürlich. Als Journalistin mit Schwerpunkt Politik habe ich auch für das afghanische Radio Solh gearbeitet (auf Deutsch: Radio des Friedens). Auch vor 2001 gab es Männer, die es nicht mochten, wenn Frauenstimmen im Radio zu hören waren. Meine Kolleginnen und ich wurden oft belästigt und bedroht. Meine Chefin beim Radiosender war eine sehr aktive und politische Frau. Sie erhielt zahlreiche Morddrohungen von den Taliban. Eines Tages wurde sie dann in ihrem Haus ermordet. Das war im Jahr 2007.

„Tag für Tag bin ich zur Arbeit gefahren und wusste nicht, ob ich den Abend erleben würde”

Seitdem habe ich nicht mehr beim Radio gearbeitet. Wir lebten, aber die Angst war unser ständiger Begleiter. Doch auch bei meiner neuen Arbeit bei einer internationalen Organisation ließ die Bedrohung nicht nach. Eines Tages wurde eine Bombe in einem der Autos der Organisation platziert. Tag für Tag bin ich morgens zur Arbeit gefahren, und wusste nicht, ob ich den Abend noch erleben würde. Das war beängstigend. Zu meinem Glück konnte ich Afghanistan schließlich verlassen.

Wie sind Sie rausgekommen?

Ich habe unter anderem auch als Medienspezialistin für die US-amerikanische Regierung gearbeitet. So konnte ich ein Visum für die USA beantragen – und irgendwann hat es geklappt. Im Jahr 2020 habe ich Afghanistan verlassen und lebe seitdem in Kalifornien.

Als die Taliban im Jahr 2021 erneut die Macht ergriffen, beobachteten Sie den Umbruch aus dem Exil. Hatten Sie damit gerechnet, dass die Taliban in Bezug auf Frauenrechte gemäßigter auftreten würden als zwanzig Jahre vorher?

Keineswegs. Die Taliban haben sich nie geändert, trotz aller Versprechen, die sie gemacht haben. Sie wissen, dass Frauen Macht bedeuten. Oder, anders ausgedrückt: Wenn Frauen die Möglichkeit haben, sich zu bilden, dann können sie sich wehren, dann haben sie Macht. Deshalb schränken die Taliban den Zugang zu Bildung so stark ein. Manchmal frage ich mich: Wird die nächste Generation afghanischer Frauen gezwungen sein, noch einmal ganz von vorne anzufangen?

Wir müssen diesen Mädchen und Frauen eine Zukunft ermöglichen. Darum sollten alle Länger ganz genau hinschauen, was gerade in Afghanistan geschieht. Ich kenne keine Frau, die noch in Afghanistan lebt und nicht bedroht wird. In den sozialen Medien lese ich oft Aussagen von afghanischen Frauen, wie: „Wir werden niemals schweigen“. Aber ich befürchte, dass sie ohne internationale Unterstützung zum Schweigen gebracht werden.